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REZENSION/558: Klaus Gietinger - Der Konterrevolutionär (SB)


Klaus Gietinger


Der Konterrevolutionär

Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere



Das wesentliche Merkmal von Revolution ist, daß sie nicht kommen wird. Man stelle sich schlechterdings kein Ereignis vor, bei dem irgendein Sozius schließlich auf die Uhr schaut und mit erstaunter Stimme ausruft: Jetzt bricht die neue Zeit an! Revolution ist weder ein Fahrplan in einem historischen Prozeß noch ein Uhrwerk, bei dem der Zeiger umstürzlerischen Willens im fliegenden Takt der Geschehnisse auf die große Revolte hindrängt. Dennoch wurzelt sie in der Historie und hat auch ihre Zeit, sobald Menschen nämlich aufstehen und fordern: So kann es nicht weitergehen!

Wie alle menschlichen Träume und Visionen entstammt sie dem gleichen Mutterboden wie ihre unzähligen Ziehgeschwister: die gesellschaftlichen Widersprüche. Sowenig die Revolution also ein mechanisch-willenloser Drehimpuls im knatternden Getriebe der Zeit sein kann, sosehr ist sie das Kind eines kämpferischen Engagements. Eine Revolution wird, um es mit einem Wort zu sagen, gemacht. Sie braucht Hände und Füße zur Befreiung, Auge und Herz für die Machbarkeit. Das Menschliche an ihr ist zugleich ihre Achillesferse: Eine Revolution wird nicht gegen das stumpfe Buch der Historie durchgesetzt, wohl aber gegen die Feindschaft aller revisionistischen Kräfte und ihrer konstitutionellen Organisationsstrukturen.

Doch hat es je eine Revolution gegeben, die die Ketten ökonomischer Ausbeutung und der Herrschaft konkurrierender Privatinteressen zerriß? Es gab Versuche zweifelsohne, in verschiedenerlei Gesinnung, aber bis auf den heutigen Tag schreibt sich die Geschichte einer emanzipierten Menschheit aus dem Blute ihrer Niederlagen her. Die Fesseln ändern sich, der Gefesselte nicht: Das Morgenrot einer Revolution erwacht, wenn die Not als Ausdruck einer noch ungeborenen Zukunft größer ist als die Furcht vor den Bajonetten.

Auch der deutsche Boden kannte dieses Aufbegehren, zuletzt in der sogenannten Novemberrevolution, die historisch betrachtet ein Aufstand war gegen die wilhelminische Kriegstreiberei und das Ausbluten einer ganzen Generation in den Schützengräben von 1914 bis 1918. Wer jedoch die Tage der Revolutionswirren vom November 1918 an, die mit dem Matrosenaufstand von Kiel ihre sichtbare Manifestierung erfuhr, aber sich schon vorher durch massenhafte Arbeiterproteste im ganzen Land angekündigt hatte, bis hin zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als der beiden führenden Köpfe der kommunistischen Bewegung, ferner der Zerschlagung des Spartakusbundes in Berlin und der Räterepubliken in Bremen, München und im Ruhrgebiet, wer also jene ereignisreichen Tage nur aus dem Blickwinkel einer Zeitgeschichte deutet und also erklärtermaßen die Pathologie des Krieges und ihrer entufernden Greuel für den Sturz der preußischen Beamtenmonarchie verantwortlich macht, verkennt den maschinengetriebenen Dämon, der in Kriegszeiten Stämme und Völker gegeneinander aufhetzt, aber schon zu Zeiten des Friedens die Leiber der schuftenden Arbeiter in den Fabriken verschlingt. Der zivile Gebrauch von Menschen ist nur die andere Seite ihrer Verwertung im militärischen Einsatz und Opfertod.

November 1918, das war anders als Paris 1789, wo sich das Bürgertum gegen den Adel emanzipierte, eine genuine Arbeiterrevolution, als der preußische Untertan und einfache Soldat und Arbeiter im Waffenrock den Gehorsam, für Kaiser und Vaterland zu sterben, verweigerte. Die Herrschaften in Paradeuniform und Frack beschimpften diesen Ungehorsam coram publico als Bolschewismus, was im Kanon mit der oft zitierten Dolchstoßlegende vom Verrat an der Heimatfront nichts weiter als eine Propagandalüge war.

Die deutsche Arbeiterbewegung hatte sich vom Weberaufstand an über die gescheiterte Revolution von 1848 bis zur Bismarckschen Sozialgesetzgebung (Rente statt Mitspracherecht) sowohl als politische Partei als auch in den straff organisierten Gewerkschaften längst gegen den preußischen Obrigkeitsstaat aufgestellt und dabei die mächtigste Waffe geschmiedet, die der unterprivilegierten Schicht je gegeben war: den Arbeiterstreik. Es hat also keiner russischen Infiltration bedurft, wie übrigens die Oktoberrevolution durch die Versendung Lenins, der bis dahin friedlich Schach im Wiener Kaffeehaus gespielt hatte, ohnehin unter einer gewissen Beteiligung der deutschen Generalität über die Bühne ging.

Wer hat Interesse an einer Revolution? Der in Lohnverhältnissen ausgebeutete Arbeiter. Und wer betreibt ihr Scheitern? Der Konterrevolutionär. Das ist auch der Titel eines von Klaus Gietinger verfaßten Buches über die wohl bewegendste Zeit der deutschen Geschichtsschreibung. Der Frankfurter Drehbuchautor, Filmregisseur, Filmproduzent, Sozialwissenschaftler und Lokalpolitiker trug die Ergebnisse seiner Forschung zunächst in dem Buch "Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs" (2008) zusammen. Im vorliegenden Werk "Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere" schöpft er aus dem umfangreichen Quellenmaterial seiner Untersuchung und richtet in diesem Folgeband sein Augenmerk auf die Rolle Waldemar Pabsts, die dieser als willfähriger Erfüllungsgehilfe des reaktionären Militärestablishments und seines paramilitärischen Anhangs in Form der Freikorps und Garderegimenter, denen er selbst angehörte, im Schulterschluß mit der nicht minder völkisch gesinnten, an der Spitze zutiefst korrupten Arbeitervertretung der SPD gespielt hat. Detail- wie aufschlußreich und mit einem Glossar versehen, das jeder Bibliothek zu Ehren gereicht, schildert Gietinger in biographischer Akribie die verschiedenen Etappen einer konterrevolutionären Karriere.

Angefangen vom Kadettenzögling, als er die Rohheiten, den Korpsverschiß und die Torturen der Klopfpeitsche einer Kameraderie kennen- und verinnerlichen lernte, die aus einem schwächlichen Knaben durch die Formung eines kaisertreuen Elitedünkels ein preußisches Musterbeispiel militärischer Gewissenlosigkeit machten. Nach dem Offiziersexamen auf der Kriegsschule in Metz (Elsaß) und seiner Lehrzeit auf der Kriegsakademie in Berlin zog er im Range eines Hauptmanns ins Stahlgewitter des Ersten Weltkriegs. Gietinger zeichnet mit scharfem konturreichen Federstrich nach, wie Pabst insbesondere durch seine Erfahrungen beim Einmarsch der deutschen Armee ins neutrale Belgien jenes Sammelsurium an Kaltblütigkeiten entwickelte, das ihn später nach dem Sturz des deutschen Kaiserreichs und durch die Unruhezeiten der Weimarer Republik hindurch als Parteigänger der reaktionären Kräfte unentbehrlich machte.

Gietinger versteht es dabei auf dramaturgisch packende Weise, den Leser trotz der mit Zitaten und Originaltexten angefüllten Chronologie gleichsam mitzunehmen auf eine Reise zurück in die Zeit, so authentisch erzählt und aufs wesentliche fokussiert, daß die widerspenstige Gegenwart, die Geschichtsabhandlungen anhaftet, unversehends einer Bühne weicht, die den Leser in den Bann gleichsam real erlebter Ereignisse schlägt.

Der Belgienfeldzug, bei dem aus angeblicher Furcht vor Franktireurs schlimmste Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung begangen, wo Frauen und Kinder völlig willkürlich ermordet, Männer ohne Standgericht erschossen und Dörfer und Städte ausgeplündert und eingeäschert wurden. Greuel, die mit der morbiden Losung "Kriegsräson geht vor Kriegsmanier" gerechtfertigt wurden. Und dabei zu erfahren, daß Pabst, ungerührt von den Massakern an unbewaffneten Zivilisten, süffisante Heroenlieder über die soldatische Tapferkeit anstimmt. Noch Jahrzehnte später wird Pabst nicht müde, sich als Ausbund an selbstloser Vaterlandstreue darzustellen, obschon er Hunderten von Menschen den Tod brachte, ohne mit der Wimper zu zucken. Es ist dies nicht verwunderlich, denn Gietingers Schilderung erlaubt wertvolle Einblicke in die Seele eines Offiziers, die, am preußischen Militärideal festgezurrt, das zivile Leben nur als untergeordneten Lebensausdruck begriff.

Mit der Kapitulation brach auch das preußische Kaiserreich zusammen, und Pabst hätte insofern ins bürgerliche Leben zurückkehren und sich vielleicht als Fabrikarbeiter verdingen müssen. Der Krieg an der Front war verloren, aber die Flinte ins Korn zu werfen und die Heimat - für Pabst der Vorrang der Kaserne vor der Zivilgesellschaft - den revolutionären Massen zu überlassen, kam für den Hauptmann aus Berlin Charlottenburg nicht in Frage. Allein die Weichenstellung wurde ganz woanders vorgenommen. Nicht die Straße, die Reichskanzlei sollte über die Geschicke der Revolution entscheiden. Schon in der Nacht vom 9. auf den 10. November kam es zum Bündnis der Gleichgesinnten zwischen dem schwäbischen Generalleutnant Groener und dem badischen Arbeiterführer Ebert, als in aller Heimlichkeit die Wiedereinsetzung einer geordneten Regierungsgewalt beschlossen wurde. Die sozialdemokratischen Führer schlugen sich nicht plötzlich auf die Seite der Obersten Heeresleitung, sondern setzten lediglich die mit den Kriegskrediten 1914 geknüpfte Allianz fort.

Pabst und seine Elitetruppe machten sich derweilen in Bahnwaggons auf den Weg ins rote Berlin, wo der Rat der Volksbeauftragten den Aufbau konterrevolutionärer Freikorps geduldet hatte. Gietinger beschreibt detailgetreu die Machtkämpfe innerhalb der SPD, die Spaltung in MSPD und USPD, die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten in allen großen deutschen Städten und die Empörung der Straße gegen die nicht eingelösten Versprechen der MSPD-Regierung unter Ebert. Die Situation spitzte sich im Januar 1918 zu und entlud sich in der Liquidierung des Aufstandes, als Liebknecht und Luxemburg, von einer Bürgerwehr gefaßt, an Pabst übergeben wurden. Nach telefonischer Absprache mit Noske befahl Pabst schließlich die Ermordung der beiden Sozialistenführer, wobei sich Gietinger verdient macht, das volle Ausmaß der Verstrickung der MSPD-Oligarchie in das Komplott aufzudecken. Daß Noske seinerzeit half, die Spuren zu verwischen, und die wirklichen Täter laufen ließ, wie er überhaupt die Ereignisse vom Matrosenaufstand in Kiel bis zum Kapp-Putsch an der Faktenlage vorbei auslegte, wird verständlich, wenn man bedenkt, daß der Mordanschlag ohne seine ausdrückliche Zustimmung mit Ebert im Hintergrund als stiller Mitwisser nicht durchführbar war, zumal die kriegsgerichtliche Verhandlung ohne Unterstützung aus dem Reichstag niemals als "Justizkomödie", wie sich Gietinger ausdrückt, im Sande verlaufen wäre.

Und das Morden und massenhafte Massakrieren ging weiter, in Berlin, Bremen, München und anderswo, und mit wachsender Radikalität auf beiden Seiten der Front quer durch Deutschland eskalierte eine bürgerkriegsähnliche Situation, in der die sozialdemokratischen Hintermänner, die, wie verdeckt oder offen auch immer, den Freikorps, ausgestattet mit Tanks, Flugzeugen, Kanonen, Minen- und Flammenwerfern, alle Vollmachten zur Niederschlagung der Revolution übertrugen, zuletzt den preußischen Belagerungszustand ausriefen, was den willkürlichen Erschießungen ohne Standgericht Tür und Tor öffnete.

Und Pabst? Er war überall mit dabei, wo Arbeiterblut vergossen wurde, hielt sich aber weitestgehend aus der Schußlinie und arbeitete beflissentlich weiter an seinem Entwurf von einer durchmilitarisierten Gesellschaft. Als sein Korps jedoch in die Reichswehr eingegliedert wurde, stand er ohne bewaffnete Macht und Ehrenkleid da. Nachdem auch die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) von seinem Parteidienst nichts wissen wollte, gründete er in Zivil die Verschwörergruppe der Nationalen Vereinigung in Berlin, der unter anderem General-Landschaftsdirektor Wolfgang Kapp, Lüttwitz und Ludendorff angehörten. Kapp als Aufsichtsratvorsitzender der Deutschen Bank hatte beste Beziehungen zum Nationalen Club, der sich aus leitenden Bankiers, Industriellen, Ministerialbeamten und Großgrundbesitzern zusammensetzte, und beschaffte so die nötigen Geldmittel. Militärischen Rückhalt fanden die Verschwörer in Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt, der die 2. Marinebrigade befehligte.

Im März 1920 drangen die Putschisten schließlich in die Reichskanzlei. Kapp rief sich zum Reichskanzler aus, Lüttwitz wurde Reichswehrminister, aber die ganze Unternehmung war trotz der mit ihr putschenden oder sympathisierenden Reichswehr- und Freikorpsverbände dilettantisch organisiert und erwies sich bald schon als Totgeburt. Der als Kapp-Putsch in die Geschichte eingegangene Staatsstreich sollte aus zweierlei Gründen scheitern. Zum einen hatte sich das Regierungskabinett rechtzeitig nach Stuttgart in Sicherheit bringen können, von wo aus die Amtsgeschäfte quasi im Exil weitergeführt wurden. Schwerwiegender für die Putschisten war jedoch, daß die alte Regierung noch vor der Flucht zum Generalstreik aufgerufen hatte. Teile der SPD schlossen mit der USPD, KPD und den Gewerkschaften Bündnisse. Arbeiter griffen zu den Waffen. Die durch den Putsch mobilisierte Rote Ruhr-Armee lieferte sich dabei heftigste Gefechte mit Freikorps-Einheiten. Das ganze Land stand in Aufruhr, während in Berlin großer Katzenjammer herrschte, zumal den Putschisten das Geld ausging und Reichsbankdirektor Havenstein die Tresore verschlossen hielt. Die Militärjunta ohne Volk stand auf der Kippe.

Am Ende verhandelte man nur noch um die Garantie einer Amnestie. Pabst erkannte die kompromittierenden Zeichen des Scheiterns früh und setzte sich mit falschen Papieren nach Österreich ab. Ebert blieb im Amt, nur Noske mußte gehen, aber dieselben antidemokratischen Freikorps, die den Kapp-Putsch unterstützt hatten, wurden nun gegen die militärisch organisierten Arbeitermassen eingesetzt und brachen der Revolution endgültig das Genick. Die Putschisten indes ließ man ungeschoren.

Pabst verlegte seine Putsch- und Agententätigkeit ins bergige Tirol im republikanischen Österreich. Von Innsbruck aus organisierte er gemeinsam mit Richard Steidle die Tiroler Heimatwehr um und sorgte mit Waffentransporten für eine verstärkte Militarisierung und Kampfkraft. Der Kontakt zum Ludendorff-Kreis riß unterdessen auch in seinem österreichischen Exil nicht gänzlich ab. Erst als der Plan einer bayerisch-österreichisch-ungarischen Konföderation mit Ludendorff als Diktator mißlang, rückte Pabst vom großen General ab und widmete sich fortan ganz der Ausformung der österreichischen Heimwehrverbände. Zwar wurde Pabst verdächtigt, in den Hitler-Ludendorff-Putsch verwickelt zu sein, aber die Anschuldigungen konnten nie belegt werden. Dagegen sprach auch, daß Pabst in Hitler keinen Kämpfer für einen faschistischen Ständestaat sah, den er durchaus nach dem Muster der italienischen Faschisten unter Mussolini im Sinn hatte.

Pabsts großes Ziel war der Gegenentwurf zum westlichen Parlamentarismus und Parteienstaat mit dem Aufbau einer Weißen Internationalen faschistischer Staaten in einer Achse Budapest-Innsbruck-Rom, notfalls mit Österreich als nationalem wehrhaften Kernstaat, falls Preußen "seine frühere geschichtliche Aufgabe der Wiedererneuerung Deutschlands" nicht erfüllen könnte. Sozusagen als dritter Weg zwischen Klassenkampf und Kapitalismus in Anlehnung an Othmar Spanns Ideologie des Ständestaats, wie sie im Flug der Ideen, Gietinger zufolge, auch von den rechten Sozialdemokraten Ebert, Bauer und David bis zur Wiedervereinigung mit Teilen der USPD propagiert worden war.

Pabsts Traum von einem Austrofaschismus als Basis für eine Durchdringung Europas wurde jedoch von den Konservativen innerhalb der Christsozialen torpediert. Die Würfel waren gefallen. Der Bundeskanzler und frühere Polizeipräsident Johannes Schober ließ Pabst verhaften und nach Italien abschieben. Zwar kehrte Pabst nach dem politischen Sturz Schobers wieder nach Österreich zurück, aber die von ihm mitentwickelte Wehrbewegung hatte inzwischen im Fürsten Starhemberg einen neuen Heimwehrleiter, der zudem ein glühender Anhänger Hitlers war. Für Pabst war der Zug in Österreich abgefahren.

Nach seiner Heimkehr im Frühjahr 1931 ins Deutsche Reich kam es in Berchtesgaden zu einem Treffen mit Hitler, der ihn offenbar als Stabschef gewinnen wollte, was Pabst jedoch ablehnte, weil er Hitlers großdeutsche Ambitionen nicht teilte, sondern nach wie vor an einer Politik der Internationalisierung der faschistischen Kräfte festhielt. Um seine Ziele zu erreichen, pflegte er Kontakte zum Stahlhelm, dem Kampfverband der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), und hielt sich im Umkreis der Nationalsozialistischen Kampfbewegung Deutschlands (NSKD), einer Nazi-Abspaltung, die, vom renitenten SA-Führer Walther Hennes und Heinrich Ehrhardt gegründet, ein rechtes Auffangbecken für Abweichler vom Hitler-Kurs darstellte. Pabst war nie ein Gegner der Nazis gewesen, erkannte aber wohl frühzeitig die Gefahr, daß Hitlers überstürzte Aggressionspolitik auf einen Krieg zusteuerte, für den weder die faschistische Sammelbewegung ideologisch noch das großindustrielle Hitler-Regime militärisch gewappnet war, ganz zu schweigen davon, daß ein frühzeitiger Waffengang sowohl die bolschewistischen als auch die anglo-amerikanischen Mächte auf den Plan rufen würde.

Pabst strebte die Utopie eines Staatenbundes faschistischer Volksgemeinschaften mit souveränen Häuptern an. In diesem Sinne war Pabst anders als Hitler kein waschechter Imperialist, obwohl ihn durchaus napoleonische Visionen "für ein neues junges Europa, aufgebaut auf der faschistischen Ethik von Glaube, freiwilliger Disziplin, Eintracht, Opferbereitschaft und Gerechtigkeit" beschlichen, die den Ausgangspunkt "einer neuen europäischen Zielsetzung für die ganze Welt" bilden sollten.

Der ehemalige Stabsoffizier mit einem Packen preußischer Tugenden auf den Schultern sah in den italienischen Schwarzhemden unter Mussolini die nationalstaatliche Verwirklichung und Gewähr für die Verbreitung eines weltumspannenden Faschismus. Davon wollte Hitler allerdings nichts wissen, weshalb Pabst mit sicherem Gespür für sich wandelnde Machtverhältnisse und um den Argwohn der Nazi-Eliten nicht zu erregen, aus der Weißen Internationalen die Gesellschaft zum Studium des Faschismus (GSF), eine Art Think Tank mit Vertretern aus Industrie, Militär, ostelbischen Landadligen, rechten Parteien und Intellektuellen, formte, ohne jedoch von seinem Kernanliegen, die Übertragung des italienischen Faschismus auf das politische System Deutschlands, abzurücken.

Die Nacht der langen Messer, als Hitler mit seiner Machtergreifung und Zerschlagung der Weimarer Republik auch alle faschistischen Organisationen und nationalsozialistischen Splittergruppen beseitigte, wozu auch die Liquidierung des SA-Chefs Ernst Röhm und anderer Weggefährten gehörte, beendete nicht nur Pabsts Tätigkeit als Chefideologe des deutschen Ständefaschismus. Auch geriet er selbst in die Schußlinie von Hitlers Säuberungsaktion, der keine Illoyalität in seinen Weltherrschaftsplänen duldete und mit Pabst abzurechnen gedachte, weil dieser sein Parteiführungsangebot seinerzeit in Berchtesgaden abgelehnt hatte. Ein SS-Mordkommando war ausgesandt, fand Pabst jedoch nicht in seiner Wohnung vor, da dieser sich nach Wilhelmshaven begeben hatte, um dem Stapellauf des Panzerschiffs Graf Spee beizuwohnen. Das rettete Pabst das Leben. Er wurde zwar verhaftet, aber dank einflußreicher Fürsprecher nach etwa fünf Wochen Haft wieder entlassen. Fortan zeigte sich Pabst staatstreu und bekannte sich in einem Brief an den Staatsrat und SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich als aufrichtigen Befürworter des nationalsozialistischen Regimes.

Seine Karriere als faschistischer Agitator war offiziell zu Ende. Dafür spielte er zunächst eine gewichtige Rolle als Rüstungsmanager bei der Firma Rheinmetall, der größten Waffenschmiede Deutschlands, die in der Schweiz mit der Waffenfabrik Solothurn ein Tochterunternehmen unterhielt. Als Wehrwirtschaftsführer war er verantwortlich für die Steigerung der Rüstungsproduktion. Ab 1940 beteiligte er sich mehrheitlich an der Auslandshandel GmbH in der Schweiz, die staatlich hoch subventioniert wurde und für das Oberkommando der Wehrmacht internationale Sonderaufträge erledigte. Ab 1943 lebte er ganz in der Schweiz und überstand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht nur politische Verfahren gegen ihn völlig unbeschadet, sondern widmete sich dank seiner vielfältigen geheimdienstlichen Beziehungen internationalen Waffengeschäften, auch im Dienste der Bundesrepublik. Ins Licht einer breiten Öffentlichkeit trat Pabst 1962 anläßlich eines Spiegel-Interviews mit den Redakteuren Hans Schmelz und Martin Virchow, bei dem er seine selbsternannte Rolle als Retter des Vaterlandes vor dem Bolschewismus ebenso beschwor wie er die Hinrichtung von Luxemburg und Liebknecht einräumte. Trotz dieses Mordgeständnisses fand sich in der Bundesrepublik kein Staatsanwalt, der Pabst dafür zur Rechenschaft ziehen wollte, und auch das Auslieferungsersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der DDR wurde abgewiesen. Waldemar Pabst starb am 29. Mai 1970, ohne auch nur für eine einzige seiner blutigen Taten belangt worden zu sein.

Gietingers der Aufklärung verpflichtete Recherche verdient höchstes Lob, da er ein brisantes Thema der deutschen Geschichte wieder aus den teils verwischten Spuren rekapituliert und in gebotener Ausführlichkeit behandelt hat. Am Lebensweg einer Person, die nur selten eine wirklich bedeutungsvolle Rolle gespielt hat, aber als Prototyp schon deshalb bestens geeignet war, weil sie die intriganten Wirren und Wankelmütigkeiten der Zeit irgendwie überlebte, entwirft der Autor ein Bild der politischen Machtkämpfe der Burgen und Bastionen in einer revolutionären Zeit des Umbruchs. Der Kunstgriff, quasi die Essenz der Konterrevolution in einer Gestalt exemplarisch vor den Augen einer interessierten Leserschaft zu bündeln, geht über eine reine Chronistenpflicht und historisierende Schau hinaus.

Als Vertreter des von Verfall und Auflösung bedrohten Militarismus mag Pabst wohl Steigbügeldienste für den deutschen Faschismus geleistet haben. Folgt man der Logik der Gietingerschen Portraitierung, so erscheint Pabst als ausgesprochener Machtmensch, wenngleich er wiederholt Reißaus nahm wie zum Beispiel beim Kapp-Putsch, bei dem er seine Kameraden im Stich ließ, um feige seine Haut zu retten, und erst dann an den Schauplatz des Geschehens zurückkehrte, als das berechnende Kalkül eine gewisse Erfolgsaussicht bot. Am mutigsten war Pabst, wo man ihn gewähren ließ und der Gegner zahlen- und waffentechnisch unterlegen war, wo nicht, wie bei der Volksmarinedivision, schlug man ihm die Zähne aus. Dagegen bewies er Format und Rücksichtslosigkeit, wenn es galt, Arbeiteraufstände mit aller Härte zusammenzuschießen. Seine Befehle kamen jedoch von der sozialdemokratischen Administration. Wer wem genützt hat und wer die Fäden in den Händen hielt, zeigen die einzelnen Stationen seiner Mordbubenkarriere unter Billigung von Ebert, Noske und Scheidemann, die den kleinen Hauptmann und Frontheimkehrer nach Berlin zitierten, um sich im Falle einer Bedrohung des Reichstages militärischer Rückendeckung zu versichern und als Faustpfand gegen den sich radikalisierenden Spartakusbund. Pabst selbst wurde nicht verhaftet. Größere Geister hielten stets die schützende Hand über ihn, weil man seiner Dienste noch bedurfte und einer die Schmutz- und Blutarbeit erledigen mußte.

Pabst hingegen hat seine Rolle im Ränkespiel mächtiger Interessengruppen in der Rück- und Nabelschau mit viel Tamtam aufgebauscht und einen Mythos von sich geschaffen, der mit den Realitäten herzlich wenig zu tun hatte. Daß die SPD-Führungsriege in der Krisenzeit auf den Kommandanten eines Freikorps zurückgriff, war auch dem Umstand geschuldet, daß die Oberste Heeresleitung weitgehend entmachtet war und weder Hindenburg noch Ludendorff politisches Rückgrat besaßen. So fand vor allem der Reichswehrminister Noske in Pabst ein williges Werkzeug, um der Gefahr einer Bolschewisierung Deutschlands zu begegnen.

Gietingers gezielte Überbewertung der Person Pabsts als Vertreter der preußisch-protestantischen Militärkaste diente so als Matrize, um den Verrat der Sozialdemokratie an der Revolution aufs entlarvenste aufzuschlüsseln. So widmete der Autor dem Protagonisten seines Buchs auf der letzten Seite die folgenden Worte: "Waldemar Pabst, der Generalstabsoffizier der Konterrevolution, der temporäre Paktierer mit der SPD, der diese Partei erst auf den entscheidenden Weg brachte, der geniale Taktiker, Organisator, der Netzwerker und Schmeichler, gelangte erst 1962 durch ein legendäres Spiegel-Interview ans Licht einer breiteren Öffentlichkeit. [...] Der Tat, die mitentscheidend war für das Schicksal Weimars, ja Europas, die Ermordung Luxemburgs, Liebknechts und der Revolution, konnte er sich nun ungesühnt brüsken. Überhaupt: In seinem fast 90-jährigen Leben hat Pabst nie einen irdischen Richter gefunden."

So war die sozialdemokratische Kriegspolitik im Grunde und ganz offensichtlich selbst schon eine Konterrevolution im roten Gewand. Mit Friedrich Ebert auf dem Parteivorsitz und dem rechten Flügel um Scheidemann, David, Legien, Heine, Severing, Bauer und Keil war das Klassenbewußtsein schon früh einem nationalstaatlichen Primat geopfert worden. Nicht zu vergessen Gustav Noske, der nicht von ungefähr vor einer "Vermischung der Rassen" gewarnt hatte und dem das "Nationalitätenprinzip" so ins ins Blut übergegangen war, daß an der immunisierenden Wirkung seiner Deutschtümelei jede sozialdemokratisch beschworene Solidarität mit der französischen Arbeiterklasse zerbrach.

Schon August Bebel hatte, bevor der Burgfriede mit "den Herren auf der rechten Seite" beschlossen wurde, im gelenkigen Kniefall vor seinem Brotherrn die Hand aufs Herz gelegt, daß im Verteidigungsfalle jeder Arbeiter und Sozialdemokrat aufgerufen sei, "die Flinte auf den Buckel [zu] nehmen". Als es dann gegen Frankreich ging, waren es gerade die Sozialdemokraten, die ihren Jubel in den waffenklirrenden Hurrapatriotismus der Kriegsgewinnler einmischten. Liebknecht war der einzige gewesen, der 1914 gegen die Kriegskredite gestimmt hatte.

Daß die Führer der parteigebundenen Arbeiterbewegung einen grundsätzlichen Verrat an ihren eigenen Idealen, Wertschätzungen und am Parteiprogramm übten, lag schlicht und ergreifend daran, daß ebendiese Ideale, Wertschätzungen und der Eid auf das sozialdemokratische Programm hinter dem Pathos ihrer Zugehörigkeit zur wilhelminischen Epoche verblaßten, einer Vaterlandsideologie, in deren Bräuche und Rangordnungen sie hineingeboren waren und die sie letztendlich trotz der revolutionären Chance, die sich ihnen bot, bis ins verborgenste Seelenkonventikel verkörperten.

Als Träger der Arbeiteravantgarde waren sie Funktionsbourgeois im preußischen Ständestaat, zu Amt und Würden gekommen und daher nicht gewillt, ihren sozialen Status in den Dreck zu werfen für ihren malochenden Landsmann oder jeden beliebigen Arbeiter jenseits der eigenen Staatsgrenzen. Mitnichten stimmt der gern zitierte Vorwurf, die Sozialdemokraten seien vaterlandslose Gesellen gewesen. Das Gegenteil trifft zu, denn sie trugen sozusagen auf rotem Sammet die ideologische Pickelhaube einer militaristisch geformten Gesellschaft, die sie vom Anspruch her verändern wollten, aber eben nicht um den Preis des eigenen Privilegs. In diesem Sinne hatten sie ebensoviel zu verlieren wie die marodierenden Freikorps, die streikende Arbeiter, Kommunisten, Anarchisten und Radikal-Pazifisten auf ihren Todeslisten führten.

Daß es nicht einmal zu einem reformistischen Ansatz gereicht hat und selbst die Ausrufung der Republik noch einen Klassenkompromiß und Handschlag in die Waffenbruderschaft mit der reaktionären Klasse darstellte, kann im Angesicht der Dokumente und historischen Fakten nur dann Verwunderung hervorrufen, wenn man die elementare Rolle, die die Sozialdemokratie von ihrer Gründung an gespielt hat, gelinde gesagt ins Idealisierte wendet. Die Kriegsbeteiligung der SPD war beileibe kein Irrweg, sondern im Gespann von Partizipation und Parteiräson der logisch nachvollziehbare Schritt einer subsidiären Sachwalterschaft herrschaftskonformer Korruption.

Die historische Bedeutung der SPD wie auch in abgeschwächter Form aller selbsterklärten Kräfte im linken und linksliberalen Spektrum der Politik besteht gerade darin, das Heranreifen revolutionärer Tendenzen auszubremsen und internationale Solidarisierungsbewegungen rechtzeitig ins Leere laufen zu lassen. Scheidemann hatte es sehr eilig, die Republik auszurufen, um das Gespenst eines demokratischen Sozialismus, einer Revolution von unten, vertreten durch Arbeiter- und Soldatenräte, wie es Luxemburg und Liebknecht vorschwebte, in einen Parlamentarismus zu bannen. Dieser Rolle und Axiomatik bleibt die SPD bis auf den heutigen Tag verpflichtet.

Erst die politische Steuerung des durch Arbeitskämpfe seit dem 19. Jahrhundert immer wieder aktualisierten Klassenwiderspruchs begründete die Beteiligung der SPD am Machtapparat. Auf diesem Wege wirkte sie revisionistisch auf die oppositionellen Kräfte in der Gesellschaft ein, bis hin zur Unkenntlichmachung des revolutionären Gedankens durch den Imperativ einer sozialpolitischen Einfriedung, dessen Hauptzweck in der Entsolidarisierung der Arbeiterklasse bestand. Nachdem sich die SPD 1959 im Godesberger Programm endgültig vom Klassenkampf verabschiedet hatte, konnte sie unverkürzt als restriktives Parteiorgan der Arbeitgeberinteressen auftreten, wobei ihr das abgewandelte bürgerliche Profil weiterhin als Feigenblatt diente, um sich gegenüber dem Wahlvolk als Alternative zu den christlich-sozialen Konservativen zu präsentieren. Der Glaubwürdigkeitsverlust hielt sich in Grenzen, solange die Parolen stimmten.

Seit den Hartz-IV-Regelungen des Basta-Patrons Gerhard Schröder hat die SPD jedoch dermaßen abgewirtschaftet, daß ihr inzwischen vom einstigen Koalitionspartner Die Grünen die Verdrängung zur Randfigur des politischen Geschehens droht. Andere Kräfte treten auf den Plan, denen die SPD sich längst nicht mehr so opportunistisch andienen kann wie zu Zeiten der Novemberrevolution, als es galt, Militär und Industrie, Staatsinteressen und imperialistisches Finanzkapital gegen das Aufbegehren der Arbeiter in Stellung zu bringen.

4. Mai 2011


Klaus Gietinger
Der Konterrevolutionär
Waldemar Pabst - eine deutsche Karriere
Nautilus Verlag, Hamburg 2009
539 Seiten
ISBN 978-3-89401-592-3