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REZENSION/548: B. Ó Doibhlin - Manuail de Litríocht na Gaeilge (SB)


Breandán Ó Doibhlin




Manuail de Litríocht na Gaeilge

Faisicil I - Ar imeall an Choncais, 1500

Breandán Ó Doibhlin gehört zu den ganz großen Literaten Irlands, doch sein Bekanntheitsgrad fällt leider weit hinter dem von Seamus Heaney oder John Banville zurück. Der Grund für die relative Unbekanntheit liegt darin, daß Ó Doibhlin in seiner schriftstellerischen Tätigkeit der Weltsprache Englisch den Rücken gekehrt hat, um sich der irischen, sprich gälischen, zu widmen. Während Englisch von allen in Irland gesprochen wird, liegt die Anzahl der Iren, die außerhalb des Bildungssystems täglich die älteste Vernakularsprache Europas benutzen, heute unter 100.000. Obwohl die Wiederbelebung der gälischen Sprache ein erklärtes Ziel der Staatsgründer der Irischen Republik nach der Loslösung vom Vereinigten Königreich mit Großbritannien 1922 war, führt sie bis heute ein Schattendasein.

Zur Sicherung ihres Überlebens hat es sich Ó Doibhlin zur Aufgabe gemacht, die frühere irische Literatur vom späten Mittelalter bis zum Aufkommen der Irish Literary Revival im 19. Jahrhundert, die bis auf die berühmten Gedichte der letzten Barden nach dem Untergang des gälischen Klanwesens im 17. Jahrhundert - siehe Seán Ó Tuamas und Thomas Kinsellas gefeierte zweisprachige Veröffentlichung An Duanaire (Poems of the Dispossessed) von 1981 - fast gänzlich in Vergessenheit geraten ist, einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Das Ergebnis ist die auf sechs Teile geplante Reihe eines "Handbuchs der irischen Literatur", von der "Faksimile I - Am Vorabend der Eroberung" der erste ist.

In seiner Einleitung verweist Ó Doibhlin auf die jahrzehntelangen Bemühungen der Regierung in Dublin, die Gemeinden an der dünnbesiedelten Atlantikküste Irlands, in denen Irisch noch die Muttersprache ist, die sogenannte Gaeltacht, am Leben zu erhalten, um sich sogleich über die geographische Enge jenes Unternehmens mit seinen "paar Dörfern" hinwegzusetzen. Mit dem "Handbuch" geht es Ó Doibhlin erklärtermaßen um nichts geringeres als um eine "... Gaeltacht des Geistes, eine Gaeltacht des Gedächtnisses; eine Gaeltacht, in der die gälische Literatur die Verkehrssprache ist; eine Gaeltacht, umfangreich, freudenvoll, von Dauer". (S. IX) Den - in erster Linie irischen - Leser lädt der Autor dazu ein, "seinen Geist und seine Fantasie von diesem heimischen Alterbe in Besitz nehmen zu lassen; sein Herz und seinen Intellekt an der alten Feuerstelle zu erwärmen". (S. IX)

Wenn das etwas pathetisch und altmodisch klingt, dann vielleicht deshalb, weil Ó Doibhlin kein Poststrukturalist ist, sondern eher zu den Wertkonservativen - und das im positivsten Sinne - gezählt werden müßte. Der 1931 in der nordirischen Grafschaft Tyrone geborene, katholische Geistliche schloß sein Studium in Rom ab, bevor er Ende der fünfziger Jahre an der Universität von Maynooth - ursprünglich ein Priesterseminar - Professor für Französisch und moderne Sprachen wurde. In den sechziger und siebziger Jahren hat Ó Doibhlin durch eine Reihe von Schriften die gälische Textanalyse revolutioniert und in die Moderne geholt - weg von der ästhetischen Betrachtung hin zur Untersuchung des Spannungsfelds zwischen Autor, Schrift und gesellschaftlichem Hintergrund. Er hat nicht nur mehrere angesehene Romane und Gedichtbände geschrieben, sondern auch Les Pensées (Die Gedanken) von Blaise Pascal und die berühmten französischen Fabeln von Jean de La Fontaine ins Gälische übersetzt. Als vor einigen Jahren eine neue gälische Version der Bibel erstellt wurde, war Ó Doibhlin für die Überarbeitung des 66 Kapitel umfassenden Buchs Jesaja zuständig. Wegen seines Verdienstes um den irisch-französischen Kulturaustausch - zwischendurch leitete er mehrere Jahre lang das Irish College in Paris - wurde Ó Doibhlin als Chevalier de l'Ordre National du Mérité und Offizier der Ehrenlegion ausgezeichnet.

Ó Doibhlins Auswahl an Texten für den ersten Teil seines Handbuchs bietet einen aufschlußreichen Einblick in das intellektuelle Leben des irischsprachigen Adels in der Zeit, bevor unter der Tudor-Königin Elizabeth I. die Macht der gälischen Klans gebrochen wurde, ihre letzten großen Anführer Hugh O'Neill und Hugh O'Donnell auf das europäische Festland flüchteten und sich der Kulturimperialismus der Engländer auf der grünen Insel richtig entfalten konnte. Neben bekannten irischen Sagenerzählungen wie den Kindern von Lir und Bodach an ChÓta Lachna (Der Flegel mit dem grauen Mantel), gibt es Passagen aus den Reisen Marco Polos, Episoden aus den Kreuzzügen, Ausschnitte aus der Legende um König Artus und den heiligen Gral, medizinische und philosophische Abhandlungen sowie Liebes-, Landschafts- und Glaubensgedichte.

Die Religion spielte damals eine nicht geringe Rolle im gesellschaftlichen Leben, wie man anhand der Auszüge aus der Lebensgeschichte des Heiligen Colmcille (Kolumban von Iona) erkennen kann, der bekanntlich im 6. Jahrhundert durch das heimliche Kopieren eines begehrten Manuskripts die erste Urheberrechtsverletztung der Geschichte begangen hat, weswegen er nach Schottland verbannt wurde, wo er die Pikten bekehrte und sogar dem Ungeheuer von Loch Ness Manieren beigebracht haben soll.

Ó Doibhlin hat die in frühmodernem, klassischen Gälisch verfaßten, zum Teil nur noch auf jahrhundertealtem Pergament vorhandenen Schriften ins moderne Irisch übertragen. Darüberhinaus erläutert er die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Textes und erklärt seine Relevanz als Ausdruck einer bestimmten Mode oder Geisteshaltung. Hinzu kommt, daß der Verlag Coiscéim das Buch mit zahlreichen interessanten Abbildungen und Fotografien von Kunstgegenständen aus der fraglichen Epoche ausgeschmückt hat, was die Lektüre dem Bibliophilen zum absoluten Genuß werden läßt (mit dem Bild auf Seite 11 aus dem 14. Jahrhundert, wie Lancelot vor versammeltem Hof im Ritterduell seinen Gegner fertigmacht, dürften die Freunde des schwarzen Humors auf ihre Kosten kommen). Wenngleich anzumerken ist, daß es sich bei dem vorliegenden Band sowohl für den Autor als auch für den Verleger um eine Herzensangelegenheit handelte, haben beide ein großes Lob verdient.

16. Dezember 2010


Breandán Ó Doibhlin
Manuail de Litríocht na Gaeilge
Faisicil I - Ar imeall an Choncais, 1500
Coiscéim, Dublin/Baile Atha Cliath, 2007 (2. Auflage)
176 Seiten