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REZENSION/529: Andrew Bacevich - Grenzen der Macht (US-Politik) (SB)


Andrew J. Bacevich


Grenzen der Macht

Das Ende des amerikanischen Traums?



Lediglich kosmetische Änderungen der auf Militärmacht basierenden Außen- und Sicherheitspolitik der USA hat die Ablösung des republikanischen Hardliners George W. Bush durch den liberalen Demokraten Barack Obama als US-Präsidenten im Januar 2009 mit sich gebracht. Für die Finanzierung des Unterhalts der amerikanischen Streitkräfte mit ihren mehr als 700 Stützpunkten im Ausland sowie der laufenden Kriege im Irak und in Afghanistan wird das Pentagon in diesem Jahr die Rekordsumme von 750 Milliarden Dollar ausgeben. Schmückte sich Bush jun. nach dem Sturz Saddam Husseins mit dem Titel "Kriegspräsident", so erklärte Obama im letzten November bei seiner Dankesrede im Osloer Rathaus anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreises die US-Streitkräfte mit ihren - wie wir seit dem 3. Mai offiziell wissen - 5113 einsatzfähigen Atomsprengköpfen zur stärksten Friedensmacht auf Erden.

In der im vergangenen Februar von Verteidigungsminister Robert Gates, dem leibhaftigen Symbol des fließenden Übergangs von der Bush- zur Obama-Administration, vorgestellten Quadrennial Defense Review (QDR), mit der Washington alle vier Jahre seine langfristige Militärplanung neu festlegt, hieß es unter anderem, vom Ausgang der "laufenden Kriege" im Irak und in Afghanistan hänge der "Erfolg in den kommenden Kriegen" ab; die Bezwingung von Amerikas Feinden im Zweistromland und am Hindukusch sei "nur der erste Schritt zur Erringung unserer strategischen Ziele"; "Amerikas Interessen und Rolle in der Welt erfordern Streitkräfte mit unvergleichlichen Fähigkeiten". Und selbst in der neuen, am 27. Mai von Außenministerin Hillary Clinton, dem Nationalen Sicherheitsberater General a. D. James Jones und John Brennan, dem Anti-Terror-Koordinator des Weißen Hauses, der Presse vorgestellten Außen- und Sicherheitsdoktrin bleibt bei allen Verweisen auf die Notwendigkeit von Diplomatie und multilateraler Zusammenarbeit vor allem mit den NATO-Verbündeten die militärische Überlegenheit Amerikas "Eckstein" der "nationalen Sicherheit und ein Anker der globalen Sicherheit".

Daß Obama nach dem Einzug ins Weiße Haus im Januar 2009 in Sicherheitsfragen auf die altbewährte Kontinuität gesetzt hat, statt sein im Wahlkampf abgegebenes Versprechen nach "Wandel, an den man glauben" könne, einzulösen, dürfte für Andrew Bacevich keine Überraschung gewesen sein. Der Vietnamkriegsveteran und ehemalige Oberst der US-Armee hat sich seit dem Ausscheiden aus dem Militärdienst 1991 zu einem der prominentesten Kritiker der "außenpolitischen Oligarchie" der Demokraten und Republikaner in Washington entwickelt. Noch im Sommer 2008, als Obama als großer Hoffnungsträger und Erneuerer durchs Land reiste und die Massen begeisterte, stand Bacevichs jüngstes Buch "The Limits of Power: The End of American Exceptionalism" auf der Bestsellerliste der New York Times, von wo aus es sozusagen das Ende des Unilateralismus von Bush und den Neokonservativen ankündigte.

In dem für die deutsche Ausgabe, "Grenzen der Macht - Das Ende des amerikanischen Traums?" im Januar 2009 geschriebenen Nachwort macht Bacevich zur damaligen Vergabe der wichtigsten Posten im neuen Obama- Kabinett an bekannte Establishment-Figuren folgende Bemerkung:

Dass ein Karriere-Geheimdienstler wie Gates oder ein Vier-Sterne-General der Marines a. D. wie Jones die Grundannahmen der gängigen Praktiken hinsichtlich der nationalen Sicherheit infrage stellen werden, lässt sich keineswegs ausschließen. Es ist nur nicht besonders wahrscheinlich. Ebenso gut könnte man von den Chefs der großen drei von Detroit erwarten, dass sie für Massenverkehrsmittel als bevorzugte Alternative zum Automobil eintreten.
(S. 232f.)

Im Wahlkampf mußte Obama, wie 16 Jahre vor ihm Bill Clinton, vor allem gegenüber den Kommentatoren der Mainstream-Medien den Vorwurf, er verfüge über keine außenpolitische Erfahrungen und sei damit für die Rolle des Kapitäns auf der Brücke des amerikanischen Ship of State ungeeignet, entkräften. Wie er das tat, sagt laut Bacevich Wesentliches über den Stand des außenpolitischen Diskurses in den USA aus:

"In den Momenten großer Gefahr im letzten Jahrhundert", erklärte Senator Barack Obama, "gelang es amerikanischen Führern wie Franklin Roosevelt, Harry Truman und John F. Kennedy, sowohl das amerikanische Volk zu schützen, als auch die Chancen für die nächste Generation zu erweitern. Außerdem sorgten sie dafür, daß Amerika durch Tat und Vorbild die Welt führte und emporhob - dass wir für die Freiheit einstanden und kämpften, die Milliarden von Menschen jenseits unserer Grenzen erstrebten. Während Roosevelt die eindrucksvollste Militärmacht aufbaute, die die Welt je gesehen hat, gaben seine Vier Freiheiten unserem Kampf gegen den Faschismus einen Sinn. Truman trat für eine kühne neue Architektur ein, um der sowjetischen Gefahr zu begegnen - er verband militärische Stärke mit dem Marshallplan und half, Frieden und Wohlergehen von Ländern in aller Welt zu sichern."

Wie Clinton war Obama darauf bedacht, sich mit der Sache zu identifizieren, "für die wir standen und kämpften". Wie Clinton erzählte er nochmals die Heldengeschichte, in der Roosevelt, Truman und ihre Nachfolger eine so herausragende Rolle gespielt hatten, und bezeugte damit die wesentliche Wahrheit und fortwährende Geltung dieser Geschichte.

Es war jedoch nahezu unvermeidlich, dass er zugleich George W. Bushs Interpretation dieser Geschichte zustimmte. Und so erklärte Obama anschließend: "Die Sicherheit und das Wohlergehen eines jeden Amerikaners hängen von der Sicherheit und dem Wohlergehen derer ab, die jenseits unserer Grenzen leben." Wie Bush und dessen Vorgänger definierte Obama die Ziele Amerikas in kosmischen Begriffen: "Es ist die Mission der Vereinigten Staaten", erklärte er, "für globale Führung zu sorgen, gründend auf der Erkenntnis, dass es nur eine gemeinsame Sicherheit und eine menschliche Gemeinschaft auf der Welt gibt."

Der von Obama imitierte rhetorische Taschenspielertrick Clintons zeigt, welche Rolle die Ideologie der nationalen Sicherheit im Wahlkampf spielt. Sie soll in erster Linie ein vereinfachtes und fades, letztlich beruhigendes Bild der Realität vermitteln. Akzeptiert man einmal die These, Amerika sei der Tribun der Freiheit, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu dem Glauben, Ziel des "Friedensprozesses" sei, Frieden zu erreichen, der Irak sei ein souveräner Staat und die Vorsehung habe Amerika dazu berufen, einen totalen Krieg gegen den "Terrorismus" zu führen. Wer diese Einstellungen nicht teilt, bewegt sich aus Sicht des Washingtoner Konsenses außerhalb des Bereichs der zulässigen Meinungen.
(S. 98f.)

Bacevich gehört wie die Historikerkollegen Gabriel Kolko, William Blum und Gareth Porter zu denjenigen, die sich von jenem Konsens verabschiedet haben, nur daß er, statt von einer linken Position aus zu argumentieren, einen konservativ-pragmatischen Standpunkt vertritt, und zwar in den regelmäßigen Beiträgen auf seinem Blog "Anti-Imperialist" auf der Website des World Affairs Journal sowie in häufig erscheinenden Analysen und Gastkommentaren für namhafte Zeitungen und Zeitschriften wie die Los Angeles Times und Harper's Magazine. Der 1947 geborene Bacevich glaubt, daß die USA sich dem Militarismus überantwortet haben und daß Washington militärische Lösungen an Stellen bevorzugt, wo sie nur das Problem verschlimmern, statt es zu beheben. Ein Beispiel dieses Phänomens wäre der Krieg in Afghanistan, den die Obama-Regierung durch Drohnenangriffe auf mutmaßliche Talibanstellungen im Nachbarland Pakistan immer mehr ausweitet. Bacevich ist davon überzeugt, daß die USA finanziell sowie moralisch besser dastünden, wenn sie militärisch im Ausland weniger aktiv wären und keine gigantische Militärmaschine aufgebaut hätten. Statt mit Waffengewalt sich die Ressourcen der Welt zu sichern, sollten die Amerikaner ihren Konsum an ausländischen Waren - zum Beispiel aus der Volksrepublik China - drosseln und neue Technologien zur Lösung von Problemen wie dem der Klimaerwärmung entwickeln.

Daß dies vermutlich ein Wunschtraum bleiben wird, weiß auch Bacevich, dessen einziger Sohn 2007 als 27jähriger Leutnant der US-Armee im Irak durch eine Bombe getötet wurde. Nichtsdestotrotz schildert er auf präzise und zum Teil ironische Weise, wie im 20. Jahrhundert die globale Führungsrolle für Amerikas Politelite zur Selbstverständlichkeit wurde. Für ihn stellte das Geheimdokument NSC-68, mit dem Paul Nitze 1950 in Reaktion auf den ersten Atomtest der Sowjetunion den Nationalen Sicherheitsrat der USA auf die kommunistische Weltbedrohung einschwor, wichtige Weichen. Es waren Nitzes Nachahmer wie Paul Wolfowitz, Richard Perle und der bereits erwähnte Robert Gates, die über Jahrzehnte hinweg die Bedrohungslage am Leben erhielten und damit für die Aufblähung des amerikanischen Militär- und Sicherheitsapparats sorgten. Als ab 1989 der Warschauer Pakt und die Sowjetunion verschwanden, waren es dieselben Kräfte, die anstelle der roten, nun die grüne Gefahr des "islamischen Extremismus" aus der Tasche zogen. Ob nun Muammar Gaddhafi, Saddam Hussein, Osama Bin Laden, Hakimullah Mehsud, Kim Jong-il, Mahmud Ahmadinedschad, Massenvernichtungswaffen oder die Proliferation von Atombomben- und Raketentechnologie, das Böse lauert überall und muß deshalb von Amerika bekämpft werden, und zwar mit den besten Waffen, die Boeing, Lockheed-Martin, Raytheon, Northrop Grumman und wie sie alle heißen, produzieren können.

Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren verschont Bacevich in seiner Kritik George W. Bush. Für den Geschichtsprofessor der Bostoner Universität bietet der ehemalige, intellektuell etwas einfach gestrickte Gouverneur von Texas offenbar ein zu leichtes Ziel. Statt dessen lobt er diesen dafür, die immanente Logik des in Washington herrschenden, militärischen Denkens der Welt so deutlich gezeigt zu haben. Schärfer geht Bacevich mit vermeintlichen Liberalen wie der ehemaligen Außenministerin Madeleine Albright - die derzeit der Kommission zur Ausarbeitung der neuen NATO-Doktrin vorsitzt -, die glaubten, mit militärischen Mitteln humanitäre und politische Problemen lösen zu können, schwer ins Gericht. Darüber hinaus analysiert und benotet er die Leistung von Amerikas Generälen seit dem Ende des Kalten Krieges und kommt dabei zu den Schluß, daß sie alle - Wesley Clark, Tommy Franks, John Abizaid und David Petraeus - keine besondere Leistung erbracht hätten.

Bacevich betont immer wieder, häufig unter Verweis auf den berühmten amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr, daß Krieg das absolut allerletzte Mittel sein müsse, gerade weil er unkontrollierbar sei und häufig unbeabsichtigte Folgen habe. Er sieht Amerikas Militärs auf dem Irrweg in dem Glauben, wegen ihrer waffentechnologischen Überlegenheit müßten sie keine Rücksicht auf diesen Aspekt des Krieges mehr nehmen, und verweist in diesem Zusammenhang auf die mit billigen Mitteln hergestellte, "unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung, auch als 'Bombe an Straßenrand' bekannt", die für einen Gutteil der Verluste der US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan gesorgt hat. Als Bestandsaufnahme der aktuellen Lage der Militärmacht USA ist "Grenzen der Macht" sehr zu empfehlen, auch wenn Bacevichs Kassandrarufe in seinem eigenen Land wirkungslos bleiben werden.

28. Mai 2010


Andrew J. Bacevich
Grenzen der Macht
Das Ende des amerikanischen Traums?
(Übersetzt aus dem Englischen "The Limits of Power: The End of
American Exceptionalism" von Friedrich Griese)
Hoffman und Campe Verlag, Hamburg, 2009
238 Seiten
ISBN: 978-3-455-50117-9