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REZENSION/445: Günter Amendt - Die Legende vom LSD (SB)


Günter Amendt


Die Legende vom LSD



Falls der Chemiker und Visionär Albert Hofmann noch einen Blick auf das vorliegende Buch geworfen haben sollte, bevor er am 29. April 2008 im Alter von 102 Jahren an seinem Wohnort Burg in der Schweiz verstarb [siehe dazu POLITIK\KOMMENTAR\KULTUR/0692], dürfte er über die differenzierte Aufarbeitung der um sein "Sorgenkind" LSD kreisenden Legenden erfreut gewesen sein. Auch mehrere Jahrzehnte nach dem Aufstieg des vielversprechenden Medikaments aus Hofmanns Labor beim Schweizer Pharmakonzern Sandoz zur spektakulärsten Substanz in der schnell kriminalisierten Apotheke der Gegenkultur der sechziger Jahre tangiert die zeit- und kulturgeschichtliche Verarbeitung dieses Themas die zumindest zensurträchtigen, wenn nicht strafrechtlich markierten Grenzen des Konsums illegaler Rauschdrogen. Dem trägt der Sozialwissenschaftler Günter Amendt Rechnung, indem er seine Abhandlung mit den erforderlichen Warnhinweisen zum Umgang mit potenten psychoaktiven Substanzen versieht.

Die Aufmerksamkeit der Gesetzeshüter ist dem theoretischen wie praktischen Umgang mit dieser Substanz schon deshalb eigen, weil keine der in den sechziger Jahren verbreiteten Rauschdrogen so sehr im Spannungsfeld zwischen der gesellschaftlichen Praxis herrschaftsförmiger Konditionierung, der nicht von ungefähr eine gigantische psychopharmakologische Industrie zuarbeitet, und dem Aufbegehren gegen ideologische Vereinnahmung und kapitalistische Verwertung stand. Das LSD nahm schon bald nach der Flucht seiner Substanz aus den Experimentieranordnungen der psychiatrischen Wissenschaft und den Labors der militärischen Kampfmittelforschung in die längst virulente Gegenkultur großen Einfluß nicht nur auf die künstlerischen Mittel und Formen des Zeitgeistes, sondern auch auf seine vielfältigen gesellschaftlichen Erscheinungsformen.

Amendt stellt denn auch die Aussage des US-Autors Tom Robbins, daß derjenige, der über die sechziger Jahre spricht, ohne über LSD zu sprechen, "sich eines höchst unredlichen Geschichtsrevisionismus schuldig" macht, an den Anfang seiner Erörterungen. Dabei handelt er die Entdeckung der halluzinatorischen Wirkung des Lysergsäurediethylamid durch Albert Hofmann eher kursorisch ab, um ausführlich auf die bewegte, zwischen Verteufelung und Verherrlichung changierende Geschichte seiner administrativen Instrumentalisierung und gesellschaftlichen Verbreitung einzugehen. Dem essayistischen Charakter seiner Schrift ist es zu verdanken, daß dem Leser das bloße Referieren von Fakten zugunsten der - Hand in Hand mit der Präsentation wichtiger Personen und Entwicklungen zum Thema gehenden - Bewertung ihrer politischen und gesellschaftlichen Bedeutung erspart bleibt.

Dabei fällt die besonders viel Raum einnehmende Exposition Timothy Learys auf, der in seiner ganzen Widersprüchlichkeit als akademischer Wegbereiter der Erforschung des LSD, als Herold seiner gesellschaftsverändernden Wirkung, als begnadeter Vermarkter seiner selbst wie als Ziel staatlicher Verfolgung und möglicher Kollaborateur ein illustres Tableau der Kämpfe und Konflikte abgibt, die die Propagierung und Nutzung dieses Halluzinogens umwogten. Über die tatsächliche Bedeutung Learys für die von LSD maßgeblich geprägte und der Konsumkompatibilität dieses Einflusses schließlich erlegenen Hippiebewegung läßt sich streiten. Andererseits entzieht sich die Vielfalt der durch LSD-Erfahrungen initiierten sozialen Entwicklungen der publizistischen und sozialwissenschaftlichen Aufarbeitung schon aufgrund ihres randständigen, von Illegalität betroffenen wie sich in gewollter Abkehr von der Gesellschaft der wissenschaftlichen Bewertung entziehenden Charakters.

Ebenso streiten läßt sich über die Klage Ronald Steckels, der im Vorwort zu seinem 1999 neu aufgelegten Buch "Bewusstseinserweiternde Drogen" die zweifellos vorhandenen Schäden, die der irreguläre Gebrauch von LSD angerichtet hat, zum Anlaß nimmt, dem LSD-Propheten Leary und seinen Anhängern vorzuwerfen, "Perlen vor die Kinder geworfen und damit ein alchemistisches Massaker in Gang gesetzt" (S. 56) zu haben. Wenn Steckel in den von Amendt wiedergegebenen Zitaten über "Tausende oder Zehntausende von Kids in den USA und Europa, die jeden Realitätskontakt und jeden gesellschaftlichen common sense für immer oder auf Jahre verloren" (S. 57) hätten, klagt, dann redet er einer positivistischen Wirklichkeitsauffassung das Wort, deren moralische Dogmen und politische Zwänge maßgeblich dazu beigetragen haben, daß Jugendliche den Drang entwickelten, mittels Drogen aus dem Gefängnis ihrer Sozialisation und Vergesellschaftung auszubrechen. Den damaligen Konsum halluzinogener Substanzen vor dem Hintergrund der millionenfachen Massaker auf den Schlachtfeldern imperialistischer Kriegführung, die auch unter den Aggressoren verheerende psychische und soziale Folgen zeitigen, zu verwerfen, ohne die emanzipatorischen Impulse der chemisch induzierten Gegenbewegung zu berücksichtigen, entzieht die destruktiven Folgen der Verbreitung des LSD dem gesellschaftlichen Kontext, dem sie maßgeblich geschuldet sind, und plädiert für eine Administrierung des Gebrauchs, die seine gesellschaftliche Breitenwirkung von vornherein verhindert hätte.

Natürlich trifft es zu, daß das Risiko des Gebrauchs von LSD, wie Amendt betont, nur für Erwachsene unter erfahrener Anleitung überhaupt kalkulierbar ist; daß man, um Recht und Gesetz Genüge zu tun, ohnehin darauf verzichten sollte, versteht sich von selbst. Dies jedoch zum Anlaß zu nehmen, den historischen Wildwuchs reuevoll zu beklagen, zeugt von einer Engstirnigkeit, die jede grundlegende gesellschaftliche Veränderung von vornherein als unzumutbare Gefährdung eigenen Wohllebens verbietet. Wenn dem Menschen nicht zugestanden wird, Fehler zu machen und dabei möglicherweise in existentiell bedrohliche Situationen zu geraten, wenn er keinen Mut zu utopischen Entwürfen und revolutionären Veränderungen faßt, bleibt seine gesellschaftliche Praxis auf aus bloßer Überlebenslogik geborene Zwänge und stoffwechselgenerierte Raubinteressen beschränkt.

Dieser Materialität durch die pharmazeutische Provokation synthetischer Erfahrungen zu entkommen, hat sich zweifellos als Irrweg erwiesen, der allerdings seinerzeit gegangen werden mußte, um ihn als solchen abzuschließen. Die von Amendt etwa am Beispiel Bernward Vespers geschilderte Exklusivität der Acidheads, die die nur unter mißverständlichen Verdrehungen zu kommunizierende Immanenz ihrer psychedelischen Erfahrungen zum Anlaß nahmen, eine verschworene Gemeinschaft von Eingeweihten zu bilden, zu der man ausschließlich unter der Bedingung, selbst vom Sakrament LSD zu kosten, Zugang fand, machte es leicht, sich als Adept einer ultimativen Wahrheit zu begreifen, die sich aus der Evidenz vermeintlicher Bewußtseinserweiterung erschließt. Die dem Postulat einer kognitiven Expansion zugrundeliegende Räumlichkeit zeugt von dem Trugschluß, die angestrebte Transzendierung anthropologisch und gesellschaftlich geprägter Kategorien der Wahrnehmung und Erkenntnis in neuen und damit alten Wahrheiten zu verorten. Auch der denkbar weiteste Horizont ist Ergebnis seiner Begrenzung und bannt das Subjekt in die unentrinnbare Distanz zum Objekt der Betrachtung. Der Nichtigkeit des auf kognitive und motorische Bahnen geeichten Bioorganismus entkommt der Mensch auch mit einem Brandbeschleuniger, der das Feuer seiner Betriebsamkeit in all seiner gleißenden Blendwirkung auflodern und inmitten des verzehrenden Widerspruchs von Form und Wandel den Traum von Beständigkeit und Dauer aufscheinen läßt, keineswegs.

Amendt schildert die Geschichte des LSD als die eines gescheiterten Aufbruchs, der einigen Menschen durchaus von individuellem Nutzen war, der jedoch mit der Verwirklichung der Hippie-Ideale an den Gewalten der ökonomischen Verwertung und administrativen Regulation zerbrach. Dem Versuch, das emanzipatorische Potential der damaligen Gegenkultur in den Innovationen der Informationstechnologie und -gesellschaft fortzuschreiben, erteilt der Autor denn auch eine Absage, die er mit Kommentaren fortschrittskritischer Autoren und Wissenschaftler unterlegt. Das Potential psychedelischer Vielfalt auf die Ein- und Ausgabeverfahren der informationstechnischen Systeme herunterzubrechen und in die kategoriale Enge des Kommunikationsmodells und Informationsbegriffs zu zwängen, zeugt allerdings vom Siegeszug einer alles Leben in Bits und Bytes aufspaltenden Produktionsweise, deren fremdbestimmte Wirkungsmacht noch längst nicht ausgelotet ist.

Das abschließende Bekenntnis des Autors zu eigenen Erfahrungen mit halluzinogenen Substanzen unterstreicht das Engagement, mit dem sich Amendt der "Legende vom LSD" widmet. Zu behaupten, daß die psychedelische Ära "nicht mehr als eine von vielen Episoden der an Episoden reichen Popkultur" (S. 82) war, mag für deren kommerziellen Niederschlag und kulturhistorischen Stellenwert zutreffen. Daß der psychedelische Impuls heute "in den Nischen der Esoterik und des Kunsthandwerks" (S. 83) überwintere, beschränkt seine Wirkung allerdings zu sehr auf seine gesellschaftliche Sichtbarkeit. Die Ausbreitung emanzipatorischer Gemeinschaftsformen, in denen die Eigentumsfrage zur Disposition kollektiven Handelns gestellt wurde, das Aufkommen einer engagierten Spiritualität, die mit der schuldbelasteten Moral klerikaler Institutionen brach, die Freizügigkeit künstlerischen Schaffens und die Entschiedenheit gesellschaftskritischen Widerspruchs wäre ohne den Einfluß eines LSD-Gebrauchs, der sich gegen Konsumismus und Eskapismus definierte und mit der politischen Radikalität der damaligen Linken konvergierte, kaum auf die bekannte Weise erfolgt. Das Scheitern der utopischen Entwürfe dieser Ära muß nicht bedeuten, daß die langfristige Wirkung dieses Entwicklungsanstosses ergebnislos bleibt.

25. Juni 2008


Günter Amendt
Die Legende vom LSD
Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main, 2008
141 Seiten, 12,90 Euro
ISBN: 978-3-86150-862-5