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REZENSION/444: Stephen Kinzer - Putsch! (US-Kriegspolitik) (SB)


Stephen Kinzer


Putsch!

Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus



2003 wurde Steven Kinzer in den USA für sein Buch "All The Shah's Men: An American Coup and the Roots of Middle East Terror" über den Sturz des demokratisch gewählten Premierministers des Irans, Mohammed Mossadegh, durch die CIA 50 Jahre zuvor zurecht mit Lob überschüttet. Der langjährige Korrespondent der New York Times hatte nicht nur anhand zuvor erstmals freigegebener Dokumente der CIA "Operation Ajax" in ihrem Verlauf minutiös rekonstruiert, sondern auch die verheerenden Auswirkungen ausführlich erläutert, die der von Präsident Dwight Eisenhower angeordnete Staatsstreich in Teheran nach sich ziehen sollte. Hierzu gehören ein Vierteljahrhundert Schah-Diktatur, die islamische Revolution 1979, der Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988, der Einfall der Truppen Saddam Husseins in Kuwait 1990, der Golfkrieg 1991, der angloamerikanische Einmarsch in den Irak 2003 sowie die anhaltende Konfrontation zwischen der Islamischen Republik Iran und den Vereinigten Staaten.

In seinem jüngsten Buch "Putsch!" holt Kinzer noch weiter aus, um den amerikanischen Imperialismus vom Wesen her zu erklären. Ein wichtiger Aspekt dieses Phänomens stellt das paradoxe Grundverständnis der Amerikaner dar, die in ihrer Mehrheit tatsächlich glauben, daß ihr Land gar kein Empire unterhält und daß die mehr als 700 Militärstützpunkte des US-Verteidigungsministeriums in 139 Staaten auf ausdrücklichem Wunsch der Menschen in dem jeweiligen Land und lediglich zu deren Schutz existieren. Dieses Grundverständnis will Kinzer erschüttern, weil es der politischen Elite in Washington seit der Erschließung des nordamerikanischen Kontinents Ende des 19. Jahrhunderts erlaubt, ohne allzu großes Aufheben Militärinterventionen in Übersee zu starten, die in den allermeisten Fällen sowohl den Menschen vor Ort als auch in den USA nicht Frieden und Stabilität, sondern nur Krieg und Leid bringen.

Für die selbstgestellte Aufgabe ist Kinzer bestens geeignet. Bereits vor der Veröffentlichung von "All the Shah's Men", dessen Titel eine direkte Anspielung auf Carl Bernsteins und Bob Woodwards berühmtes Enthüllungsbuch "All the President's Men" über den Watergate-Skandal Richard Nixons ist, hatte Kinzer bereits 1982 mit Stephen Schlesinger das Buch "Bitter Fruit: The Story of the American Coup in Guatemala" über den Sturz Jacobo Arbenz Guzmans veröffentlicht und in den achtziger Jahren als NYT-Korrespondent aus Mittelamerika berichtet, als die Administration Ronald Reagans dort über die rechtsgerichteten Contras einen verdeckten Stellvertreterkrieg gegen die sandinistische Regierung Nicaraguas führte.

Kinzer behandelt in jeweils einem Kapitel ausführlich die seines Erachtens "extremsten Beispiele" der von den USA herbeigeführten "Regimewechsel" im Ausland, angefangen mit Hawaii 1893, über Kuba, die Philippinen und Puerto Rico 1898, Panama 1903, Nicaragua 1910, Honduras 1911, den Iran 1953, Guatemala 1954, Südvietnam 1963, Chile 1973, Grenada 1983, Panama 1989, Afghanistan 2001 bis zum Irak 2003. Er nennt den "Sturz fremder Regierungen" die "direkteste Form amerikanischer Einmischung" und legt die These von George W. Bushs Anti-Saddam-Feldzug als Sonderfall in der Geschichte amerikanischer Außenpolitik als durchsichtige Propaganda bloß.

Durch Kinzers Liebe zum Detail wird die Geschichte eines jeden der hier behandelten Staatsstreiche quasi zu einem spannenden Mini-Agentenroman. Vor allem die Schilderung der Putsche aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sind sehr interessant, weil weit weniger bekannt. Nichtsdestotrotz weisen alle im Buch analysierten Episoden ein bestimmtes Muster auf: die Entstehung und Verschärfung eines Widerspruchs zwischen den Interessen der USA und den der Repräsentanten des jeweils ins Visier genommenen Landes; die Bemühungen Washingtons, den Streit friedlich - durch Anlegen der diplomatischen und wirtschaftlichen Daumenschrauben - zu beenden; der Entschluß zu einer gewaltsamen Lösung. Manchmal schimmert bei Kinzer auch eine gewisse Bewunderung für das US-Militär durch, wenn er zum Beispiel den Einmarsch in Panama zur Ergreifung Manuel Noriegas als "größte Luftlandeoperation seit dem Zweiten Weltkrieg" behandelt oder die Eroberung der Fünfmillionenmetropole Bagdad durch eine einzige, 1000 Mann zählende, motorisierte Infanteriebrigade der US-Armee unter dem Kommando von Oberst David Perkins mittels eines waghalsigen "Sturmlaufes" auf die Grüne Zone preist.

Kinzers Respekt vor Amerikas Männern und Frauen in Uniform steht im krassen Widerspruch zu seinem vernichtenden Urteil über das selbstsüchtige Agieren der politischen Führung in Washington und deren Freunde in den Chefetagen der US-Großkonzerne. Den Verantwortlichen im Weißen Haus und Kongreß wirft er Ignoranz und ideologische Verblendung und ihren Gönnern in der Wirtschaft Gier und kurzsichtiges Denken vor. Er sieht die republikanischen Ideale der amerikanischen Revolution durch den militärisch-industriellen Komplex der USA verraten, doch er scheint keine Idee zu haben, wie dieser Interessenskoloß, der die Wall Street, die Medien und die politischen Institutionen in Washington eisern im Griff hat, aufgehalten werden kann.

Schließlich ist die Kritik Kinzers nicht prinzipiell neu. Bereits in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts gab Generalleutnant Smedley Butler, der an der Aufstandsbekämpfung der US-Marineinfanterie auf den Philippinen sowie vor und nach dem Ersten Weltkrieg an zahlreichen Militärinterventionen in Mittelamerika teilgenommen hatte, offen zu, den Großteil seiner Militärkarriere als "Laufbursche für die Wall Street" verbracht zu haben. Von ihm, einem der höchstdekorierten Soldaten in der Geschichte Amerikas, der auch im Buch Kinzers vorkommt, stammt der berühmte Satz: "Krieg ist eine Gaunerei." Führt man sich die geschäftlichen Eskapaden von KBR, Halliburton, Blackwater, Titan, CACI, und wie sie alle heißen mögen, seit 2003 im Irak vor Augen, so wird klar, daß die Feststellung Smedley Butlers nach wie vor ihre Gültigkeit besitzt.

Welche Aktualität die Ausführungen Kinzers haben, zeigt der heftige, dieser Tage ausgetragene Streit zwischen der Regierung Nuri Al Malikis und der Bush-Administration um einen Vertrag über die langfristige Stationierung von US-Streitkräften im Zweistromland, die, wenn es nach Washington ginge, volle Immunität genießen und ohne Rücksprache mit Bagdad Militäroperationen gegen die Nachbarländer des Iraks durchführen können sollen. Wie in den von Kinzer geschilderten Fällen sind die USA erneut an jenem "kritischen Punkt" angelangt, wo ihre eigenen strategischen Interessen mit denen der Menschen in dem angeblich "befreiten" Land vollends aneinandergeraten. In solchen Situationen haben sich die USA in der Vergangenheit meistens entschieden, sich mittels eines von ihnen abhängigen Diktators über die Wünsche der Einheimischen hinwegzusetzen.

Einen weiteren aktuellen Bezug liefert die Kontroverse um das iranische Atomprogramm, hinter der sich in erster Linie der Wunsch der Falken in Washington nach Absetzung der Mullahs in Teheran und Rache für die Demütigungen in Verbindung mit der 444tägigen Geiselnahme der US-Botschaftsangehörigen von Ende 1979 bis Anfang 1981 verbirgt. Es wäre zu wünschen, daß im Umgang mit den Irakern und den Iranern die Verantwortlichen in Washington ein Ohr für die Forderung Kinzers nach einer "durchdachten Politik" hätten, statt sich des üblichen Aktionismus zu befleißigen, den man stets mit dem Verweis auf die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung von Amerikas "Glaubwürdigkeit" begründet. Leider steht zu befürchten, daß es in den kommenden Monaten am Persischen Golf zu mindestens einem weiteren kontraproduktiven Putsch à la Pentagon kommem wird.

18. Juni 2008


Stephen Kinzer
Putsch!
Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus
(Aus dem Englischen "Overthrow: America's Century of Regime Change
from Hawaii to Iraq" übersetzt von Ulrich Enderwitz)
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 2007
563 Seiten
ISBN: 978-3-8218-4587-6