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REZENSION/420: Lehrbuch und Bildatlas für die Podologie (SB)


Dr. med. Norbert Scholz


Lehrbuch und Bildatlas für die Podologie



Unsere Füße gehören zu den wichtigsten Teilen unseres Körpers, denn sie machen uns - auf gewisse Weise - unabhängig. Nach dem Studium des von Dr. med. Norbert Scholz verfaßten Buches "Lehrbuch und Bildatlas für die Podologie" (Podologie = Lehre vom Fuß) muß man allerdings zu dem Schluß gelangen, daß sie offensichtlich auch zu den vernachlässigsten gehören. Man sollte sich jedoch nicht zu dem schnellen Urteil hinreißen lassen, dies sei auf Gleichgültigkeit zurückzuführen, denn in den wenigsten Fällen wird das zutreffen.

Ein kleiner Riß in der Hornhaut der Ferse, ein eingewachsener Fußnagel, eine ungewohnte Unebenheit, Deformation oder auch Hautveränderung kann erhebliche Schmerzen zur Folge haben. Es muß folglich schwerwiegende Gründe geben, daß eine nicht unerhebliche Anzahl von Menschen es vorzieht, statt einer fachgerechten Behandlung mit zum Teil gravierenden Beeinträchtigungen am Fuß zu leben.

Eine wesentliche Rolle dürfte dabei spielen, daß jede Andersartigkeit nur allzu oft zu einer Ausgrenzung führt. Gesellschaftlich vorgeschriebene und im allgemeinen akzeptierte Normen setzen unter anderem ein bestimmtes Verhalten und Aussehen voraus. Am besten weist man ein "gesundes" Äußeres, also keine Behinderung oder sichtbare, seltsam anmutende Erkrankung auf. So scheint es, gerade bei einer krankhaften Erscheinung am Fuß, ein Leichtes zu sein, diesen zunächst einfach zu verstecken.

Hinzu kommt, daß ein System, in dem eine angemessene Gesundheitsversorgung und -betreuung sich mehr und mehr zum Privileg einiger weniger besser situierter Menschen entwickelt, nicht dazu beiträgt, die medizinischen Probleme einer immer älter werdenden und langlebigeren Bevölkerung zu lösen. Mit dem Argument der Wirtschaftlichkeit werden mittlerweile fast alle Leistungen der gesetzlichen Kostenträger pauschaliert und budgetiert. Wie Dr. med. Scholz anmerkt, ist das "leistungsfeindlich oder mindert die Qualität der Leistung". Wer nicht in der Lage ist, für eigentlich notwendige Behandlungen selbst aufzukommen, muß wohlwissentlich möglicherweise lebensgefährdende Abstriche bei der eigenen Gesundheit in Kauf nehmen. So in Not geraten kam kürzlich ein Hartz IV-Empfänger beispielsweise auf die Idee, sich mit einer geliehenen AOK-Versicherungskarte einer Herzoperation zu unterziehen. Seine Tat blieb nicht unentdeckt, er wurde angeklagt und soll nun für die Kosten von über 20.000 Euro selbst aufkommen.

Eine akzeptable Gesundheitsversorgung ist zum Luxusgut geworden, und selbst der Wunsch, auf gesundem Fuß zu leben, kann teuer zu stehen kommen. Es ist also nicht unverständlich, daß ein Betroffener unter Umständen erst dann Hilfe sucht, wenn die Schmerzen unerträglich geworden sind und die Schädigung ein Ausmaß erreicht hat, bei dem nur noch fachkundige Pflege mit viel Mühe und Aufwand den Schaden zu begrenzen vermag.

Fachkundige Pflege leistet der Podologe, der medizinische Fußpfleger. Sein Aufgabenbereich umfaßt die allgemeine und individuelle Beratung sowie Haut- und Nagelbehandlungen jeglicher Art am Fuß. Er kümmert sich um schmerzende, Druck verursachende Stellen, trifft Maßnahmen zur Entlastung, ist befähigt, Massagen an Fuß und Unterschenkel, Fußbäder wie auch eine physikalische Therapie durchzuführen. Der Podologe kann eine eigene Praxis betreiben, darf aber nur in einem begrenzten Rahmen handeln. Sein Beruf ist ein sogenannter medizinischer Assistenzberuf. Er steht im Gegensatz zum Heilberuf, unter den Ärzte, Psychologen und Heilpraktiker fallen. Sie allein sind befugt, zu diagnostizieren und zu therapieren.

Dennoch wird auch der Podologe im Verlauf seiner praktischen Tätigkeit mit den unterschiedlichsten Problemen rund um den Fuß konfrontiert. Viele alte Menschen sind bei der Pflege ihrer äußeren Extremitäten auf Hilfe angewiesen. Nicht selten sind ihre Probleme am Fuß Begleiterscheinungen, wie das immer häufiger auftretende diabetische Fußsyndrom eine Folgeerscheinung der Diabetes mellitus-Erkrankung ist. Es ist demzufolge notwendig, daß der Podologe über ein ausreichendes medizinisches Fachwissen verfügt. Er sollte anhand des Zustands eines Fußes Rückschlüsse ziehen können und entsprechend einzugreifen wissen. Sein Beruf erfordert neben Fachwissen Umsicht, Sorgfalt und Zuwendung, das heißt eine Menge Verantwortung.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte hat der Autor sein Werk für alle Podologen, speziell aber wohl für den angehenden gestaltet. Der Mediziner, der bereits seit 20 Jahren als Facharzt für Allgemeinmedizin mit einigen Spezialisierungen eine eigene Praxis führt, behandelt seit Ende der 80er Jahre Nagelerkrankungen und hat selbst einige Jahre eine Fußpflegeschule geleitet. Er sagt, er habe sich während seines Medizinstudiums nie träumen lassen, "als Arzt irgendwann einmal Fußpflege zu betreiben". Ganz offenkundig ist er mit den praktischen Problemen, aber auch mit denen des Unterrichtens bestens vertraut. Mit seinem Lehrbuch will er dem künftigen Podologen neben Fachwissen ein umfassendes medizinisches Allgemeinwissen wie auch Verantwortungsbewußtsein vermitteln. Angenehmerweise verzichtet Dr. med. Scholz in allen Kapiteln auf eine akademische Sprache. Unter anderem werden in der Medizin verwendete lateinische Begriffe durch ihre deutsche Bedeutung in Klammern gesetzt ergänzt, wie auch innerhalb der Texte neben deutsch verwendeten Worten die allgemein gebräuchlichen lateinischen Begriffe zu finden sind.

Wie erwähnt nimmt die Zahl der alten und an Diabetes erkrankten Menschen, die medizinischer Hilfe bei der Pflege ihrer Füße bedürfen, stetig zu. So wurde schließlich 2002 der Beruf des Podologen gesetzlich anerkannt. Dies hat Dr. Scholz zum Anlaß genommen, sein Werk "Lehrbuch und Bildatlas für die Podologie" zu veröffentlichen. Es erschien erstmals 2003 und liegt nun 2007 bereits in der dritten, diesmal erweiterten Auflage vor.

Auf 756 Seiten hat er sehr ausführlich, übersichtlich strukturiert und mit vielen Fotos die krankhaften Erscheinungen am Fuß und den Umgang mit diesen dokumentiert. Bevor er auf wesentliche Aspekte der medizinischen Fußpflege detailliert und umfassend eingeht - von der Vorbereitung des Arbeitsplatzes und der Durchführung der Fußpflege über die praktische Handhabung der Hand- und elektrischen Fußpflegegeräte bis zur Anwendung verschiedenster Nagelkorrekturspangen usw. -, klärt er über grundsätzlich Wissenswertes auf.

Neben einer allgemeinen Einführung in die professionell medizinische Fußpflege und ihre rechtlichen Voraussetzungen schafft er ein Grundverständnis für die Anwendung medizinischer Fachausdrücke, denn der Podologe wird sich stets mit Ärzten, aber auch mit anderen medizinischen Fachkräften besprechen müssen. Eigens konstruierte Übungen ermöglichen Erlerntes zu überprüfen.

Sehr ausführlich widmet er sich dem Thema "Instrumentenpflege und Sterilisation". Er beginnt dieses Kapitel mit einem Rückblick über die Herstellung von fußpflegerischen Instrumenten, die damals wie auch heute noch zumeist in Handarbeit hergestellt werden müssen. Bekanntester Ort in Deutschland dafür ist die Stadt Solingen, in der bereits im 14. Jahrhundert Schleifkotten (Kotten: niederd. für 'kleine Hütte') mit Wasserrädern betrieben wurden. Anhand einer Bilderfolge wird der aufwendige Ablauf der Herstellung einer Nagelzange verdeutlicht. Das Kapitel endet mit einem Glossar zur Hygiene, einer Liste bekannter Mittel zur "Haut- und Händedesinfektion, Instrumentendesinfektion und Reinigung" und der sehr hilfreichen Checkliste "Hygiene in der podologischen Praxis".

Der eine oder andere Leser wird Gefallen daran finden, daß der Autor immer wieder auch die geschichtlichen Hintergründe beleuchtet wie zum Beispiel die Geschichte der medizinischen Fußpflege und ihrer Entwicklung in Deutschland und der historische Rückblick über die Instrumentenherstellung. Er listet die wesentlichen Entwicklungsschritte auf, die zu den heutigen Hygienemaßnahmen geführt haben und gibt einen kurzen Einblick in die Entwicklung der Behandlung mit Nagelkorrekturspangen.

Im Kapitel "Grundlagen der Nageldiagnostik" vermittelt Dr. med. Scholz Fundamentales über Nagelbau und -funktion, Haut-, Fuß- und Nagelveränderungen, die dann auch für den leichteren Nachvollzug bildlich dargestellt sind. Natürlich wird die Anatomie des Fußes, der Verlauf der Muskeln und der Nerven an Fuß und Bein besprochen, Grundsätzliches über Blut-, Herz- und Gefäßsystem vermittelt. Es geht im weiteren um äußerlich angewandte Pflegemittel, Wundversorgung, Kompressionsverbände, Thromboseprophylaxe, das diabetische Fußsyndrom und um vieles mehr.

Das diabetische Fußsyndrom entsteht als Folgeerkrankung des Diabetes mellitus und ist nur eines der vielen möglichen Zusatzprobleme bei einer Diabeteserkrankung. Es empfiehlt sich für den Podologen, sich mit den Folgeerscheinungen dieser Krankheit vertraut zu machen. So hat Dr. med. Scholz den Diabetes mellitus sowie das diabetische Fußsyndrom im Kapitel "Relevante Erkrankungen in der medizinischen Fußpflege" sehr ausführlich und nach dem neuesten Stand der Wissenschaft behandelt. Hier wird auch auf die oft mit der Diabeteserkrankung einhergehenden Störungen des Blutdrucks und eines veränderten Fettstoffwechsels eingegangen. Des weiteren erläutert er in diesem Kapitel die Gefahr der Behandlung bei angeborener Blutgerinnungsstörung oder die Gefahr bei Einnahme gerinnungshemmender Medikamente.

Zahlreiche, deutlich gekennzeichnete Tabellen dienen der schnellen Übersicht innerhalb der unterschiedlichen Kapitel, seien es die Differenzierung eines Typ 1- und Typ 2-Diabetikers, eine Liste von "Haut-, Fuß- und Nagelveränderungen auf einen Blick", die Kennzeichen einer Nagelsymptomatik als "Zeichen einer Arzneimittelschädigung" oder bei "Allgemein-, Inneren- und Hauterkrankungen" eine Übersicht über die wichtigsten Haut- und Händedesinfektionsmittel. Es fehlt sogar nicht einmal eine Tabelle der englischen und deutschen Schuhgrößen und -weiten, denn abgesehen von den durch falsches Schuhwerk verursachten Fußdeformationen widmet der Autor diesem bedeutsamen "Kleidungsstück" mit "Rund um den Schuh" ein eigenes Kapitel.

Mit dem "Lexikon medizinischer und fußpflegerischer (podologischer) Fachausdrücke" schließt der Autor den medizinischen Teil des Buches ab.

Es folgen allerdings noch die ernüchternden Fakten für den Podologen, der sich entschließt, eine eigene Praxis zu gründen. Abgesehen von den horrenden finanziellen Aufwendungen hat dieser, falls er eine Krankenkassenzulassung wünscht, strenge Auflagen zu erfüllen. Er muß beispielsweise eine bestimmte Quadratmeterzahl pro Raum vorweisen und für jeden zusätzlich eingestellten Podologen einen eigenen Behandlungsraum zur Verfügung stellen. Jede erbrachte Leistung muß nach dem vorgeschriebenen Satz auf vorgedruckten Formularen abgerechnet werden, es darf keine Abweichungen in der Behandlung bezüglich der vorgegebenen Zeiten geben.

Eine Kassenzulassung ist für den selbständigen medizinischen Fußpfleger inzwischen im Grunde genommen ein Muß, denn die erbrachte Leistung an den an Diabetes Erkrankten, also die prophylaktischen fußpflegerischen Maßnahmen oder die Behandlung des bereits bestehenden Diabetischen Fußsyndroms wird heute von den Krankenkassen finanziert. Diabetes-Patienten, die einen großen Teil der Kunden des Podologen ausmachen, werden diesen also kaum als Selbstzahler aufsuchen.

Dr. med. Scholz nennt in diesem letzten Kapitel die Vor- und Nachteile für die Existenzgründung eines Podologen und macht anhand von Rechenbeispielen nachvollziehbar, daß die Vergütungsstruktur der Krankenkassen, die hoch angesetzten Zulassungskriterien und die sehr geringe Verdienstspanne den Wunsch nach einer eigenen Praxis äußerst überdenkenswert machen.

Die Reglementierungen, die unser Gesundheitssystem in den letzten Jahren zunehmend bestimmen, haben unweigerlich Auswirkungen auf die Qualität der Leistung. Sie machen eine angemessene Gesundheitsversorgung für jede medizinische Fachkraft trotz vorhandenem guten Willen und dem notwendigen Engagement nahezu unmöglich. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß der Beruf des Podologen gerade in der nahen Zukunft immer gefragter sein dürfte.

20. Dezember 2007


Dr. med. Norbert Scholz
Lehrbuch und Bildatlas für die Podologie
Verlag Neuer Merkur GmbH
3. Auflage 2007
756 Seiten, 139,90 Euro
ISBN 978-3-937346-40-3