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REZENSION/396: Der Brockhaus - Moderne Kunst (SB)


Der Brockhaus. MODERNE KUNST


Vom Impressionismus bis zur Gegenwart



Von einem Lexikon erwartet ein Wissensdurstiger komprimierte wie auch fundierte Informationen. Diesem Anspruch werden speziell Kunstlexika nur selten gerecht. Erfreulicherweise hat das Brockhaus-Lexikon für Moderne Kunst einen neuen Weg eingeschlagen und bietet eine weitestgehend sachliche Darstellung der unterschiedlichsten Strömungen des 20. Jahrhunderts und seiner Gründergeneration an.

Neben Malerei, Skulptur, Architektur, Fotografie, Design und Grafik vermittelt das Nachschlagewerk auch Motive künstlerischen Schaffens, deren Entwicklung sich historisch begründen und aus den Werken der Künstler ablesen läßt.

In der gestalterischen Aufmachung an die zuletzt herausgegebene Brockhaus-Reihe angelehnt, erinnert dieses Kunstlexikon zwar eher an ein Schulbuch, aber das Layout ist durchaus funktional strukturiert.

Unter diese Funktionalität fällt auch die Lautschrift für ausländische Namen und sonstige Fremdworte, die als Betonungshilfe jedem Neueinsteiger peinliche Situationen erspart.

Inhaltlich ließen sich die Lexikonautoren einiges einfallen, um Erfreuliches oder gar Unkonventionelles in die sture alphabetische Auflistung von Namen, Lebensläufen, Stilrichtungen oder Museen und der üblichen Präsentation der Gemälde und Fotografien der Künstler und ihrer Objekte zu bringen.

Neben dreizehn Sonderartikeln und ebensovielen Abhandlungen zu Stilrichtungen und Gattungen würzten die Autoren das Lexikon mit kleinen Anekdoten und lockerten zudem das Gesamtbild des Buches durch farbig hervorgehobene Info-Kästen auf.

In den Sonderartikeln werden Themenschwerpunkte wie beispielsweise "Avantgarde", "Kunstkritik", "Wahrnehmung" oder auch "Zensur" geschichtlich dargestellt. Hat sich der Kunstinteressierte erst einmal durch alle Themen hindurchgelesen, kennt er nicht nur die Wurzeln der Moderne, sondern er kommt auch kleinen inhaltlichen Schwächen der Autoren auf die Spur.

Zum Beispiel legt der Autor des Artikels über Zensur die Anfänge der Zensur ins 16. Jahrhundert, also in die Lutherzeit. Hier weiß der aufmerksame Leser der vorangegangenen Abhandlungen schon mehr, da Kaiser und Päpste bereits Jahrhunderte zuvor als Zensoren aufgetreten sind.

An anderer Stelle versucht der interessierte Leser vielleicht die in den Sonderartikeln erwähnten Begriffe im alphabetisch geordneten Stichwortregister zu finden. Doch ist beispielsweise der Begriff Kitsch nicht mit aufgenommen, obwohl er in mindestens zwei Sonderartikeln erwähnt wird. Offenbar gehen die Autoren davon aus, daß er keiner Erläuterung bedarf. Aber gerade in unserer industriell geprägten Moderne wäre die Funktionsbestimmung des Kitsches in Abgrenzung zur Kunst ein durchaus interessanter Aspekt und lohnte der Erwähnung in einem Lexikon.

Lobend hervorzuheben ist jedoch die kunsthistorische Einordnung, die die Lexikonautoren durch die doppelseitigen Sonderartikel zu zentralen Begriffen der Kunst- und Künstlergeschichte darlegen. Sie stellen durch entsprechendes Hintergrundwissen einen beziehungsweise mehrere Zusammenhänge her, aus denen die Moderne entstanden ist.

Ein bedauernswerter Aspekt sei noch erwähnt: Die vielseitigen Bezüge, Einflüsse und Informationen, die zum jeweiligen Thema der Sonderartikel hergestellt werden, lassen einen klaren Standpunkt vermissen. Dies stellt für ein Lexikon zwar keine elementare Kritik dar, weil seine Funktion auch in der neutralen Vermittlung von Wissensstoff bestehen könnte. Deshalb erscheinen jedoch die dargestellten gesellschaftlichen Werte stark konsensgestützt. Sie spiegeln im wesentlichen die vorherrschenden Interessen wider, was für den Leser sicherlich keine Offenbarungen zutage fördert.

Besonders deutlich erweist sich dies bei dem Thema "Zensur". Hier wird an erster Stelle die ehemalige DDR und dann die NSDAP genannt, die bekanntermaßen die Richtlinien von Kunst vorgaben und den Schaffensraum der Künstler entsprechend einengten oder sogar vollständig vernichteten. In der BRD hingegen werden nur reglementierende Marktmechanismen eingeräumt. Daß damit jedoch ebenfalls eine weitreichende Zensur - gerade auch in der Nachkriegszeit von den Amerikanern - vorgenommen wurde, bleibt gänzlich unerwähnt.

Trotz seines scheinbar standpunktlosen, rein wissensvermittelnden Auftretens zeigt sich dieses Brockhaus Kunstlexikon jedoch nicht nur als additive, zusammenhangslose Wissensanhäufung, wie man das konventionellerweise erwarten würde, sondern es gelingt dem Nachschlagewerk schon, in lexikalischer Kürze Zusammenhänge faßbar zu machen.

10.07.2007


Der Brockhaus. MODERNE KUNST
Vom Impressionismus bis zur Gegenwart
1. Auflage, 384 Seiten
Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2002
Herausgegeben von der Lexikonredaktion des Verlags F.A. Brockhaus,
Mannheim, ISBN 3-7653-2391-8, Ladenpreis: 24,90 Euro