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REZENSION/385: Gössner - Menschenrechte in Zeiten des Terrors (SB)


Rolf Gössner


Menschenrechte in Zeiten des Terrors

Kollateralschäden an der "Heimatfront"



Der Übergriff des Staates auf die Globalisierungskritiker, die gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm mobilisieren, unter Verwendung des Gesinnungsstrafrechts nach Paragraph 129a belegt, wozu die polizeilichen Sondervollmachten der Terrorismusbekämpfung vor allen Dingen gedacht sind. Lange vor dem Aufkommen des sogenannten islamistischen Terrorismus wurde diese Form der kollektiven Verdächtigung und Sanktionierung in das Strafrecht aufgenommen, um linksradikale Zusammenhänge nicht nur besser verfolgen, sondern vor allem ausforschen zu können. Indem nun versucht wird, die Kritik an der keineswegs durch die betroffenen Menschen legitimierten Politik und Vormachtstellung der G8-Staaten zu kriminalisieren und die Bewegung der Globalisierungsgegner in einen militanten und friedlichen Flügel zu spalten, bestätigt sich die eigentliche Bestimmung des politischen Strafrechts als eines Instruments zur Diffamierung und Unterdrückung emanzipatorischer sozialer Bewegungen.

Angesichts der zweiten großen Welle sicherheitsstaatlicher Zumutungen seit dem 11. September 2001, mit der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die zweifelhaften Errungenschaften seines Vorgängers Otto Schily noch zu übertreffen versucht, kommt das neue Buch des Rechtsanwalts und Publizisten Rolf Gössner wie gerufen. Der um seinen Einsatz für Grund- und Menschenrechte bekannte Autor kann als einer der bekanntesten Bürgerrechtler der Bundesrepublik bezeichnet werden, vertritt er doch schon seit Jahren die Interessen derjenigen in Deutschland lebenden Menschen, die aufgrund ihrer politischen Einstellung, ethnisch-religiösen Herkunft oder nichtdeutschen Nationalität unter gesellschaftlicher Ächtung und staatlicher Verfolgung zu leiden haben.

Der hierzulande bezeichnenderweise fast nur im Kontext der untergegangenen DDR oder sogenannter Schurkenstaaten verwendete Begriff des Bürgerrechtlers hat allemal eine Renaissance verdient, bietet die Politik der Bundesregierung wie diverser Landesregierungen doch gerade in jüngster Zeit zahlreiche Anlässe, die Aufhebung bürgerlicher Freiheiten und Unterminierung grundrechtlicher Schutzgarantien anzuprangern. Gössner beleuchtet den Stand der "Menschenrechte in Zeiten des Terrors" vor allem in Bezug auf die behördlichen Praktiken in der Bundesrepublik. Diese werden allerdings gemäß des globalen Charakters des sogenannten Krieges gegen den Terrorismus stark von Entscheidungen beeinflußt, die in Washington und Brüssel getroffen werden. Die von Bundesinnenminister Schäuble immer wieder unterstrichene Aufhebung des Unterschieds von innerer und äußerer Sicherheit deutet bereits an, daß Gössner nicht in polemischer Absicht handelt, wenn er im Untertitel seines Buchs von den "Kollateralschäden an der 'Heimatfront'" spricht.

Die globale Entuferung der inneren Sicherheit ist allerdings, anders als von Schäuble dargestellt, kein Schicksal, das dem Staat von Terroristen islamischen Glaubens aufgezwungen wird, sondern wie auch die kapitalistische Globalisierung vor allem Machtinteressen geschuldet. Der postulierte Sachzwang einer transnationalen Organisationsstruktur terroristischer Vereinigungen wie krimineller Syndikate ermöglicht das Unterlaufen nationaler Schutzstandards durch die Etablierung supranationaler Sicherheitsbehörden und internationaler Abkommen, die nur sehr bedingt, wenn überhaupt, demokratisch kontrolliert und legitimiert sind. Er eröffnet Möglichkeiten der internationalen geheimdienstlichen Zusammenarbeit, bei denen nicht nur im Falle der USA und seiner Klientelstaaten arbeitsteilig vorgegangen wird, um nationales Recht zu Lasten gefolterter und ermordeter Gefangener zu umgehen. Er legitimiert die Verschmelzung polizeilicher, geheimdienstlicher und militärischer Kompetenzen zu einem Konglomerat exekutiver Handlungsgewalt, das die Zugriffsintensität und Eingriffstiefe dieser staatlichen Gewaltorgane nicht nur addiert, sondern potenziert. Er führt, wie etwa das Beispiel des europäischen Haftbefehls oder der Zusammenarbeit von EU und USA im Rahmen von Passagierdatenabkommen zeigen, zu einem gesetzlichen race to the bottom, bei dem sich die verschiedenen Akteure bei den jeweils niedrigsten Schutzstandards ihrer Bürger treffen.

Insofern ist das Umschlagfoto, das eine Szene aus dem US-Lager Guantanamo zeigt, emblematisch. Deutschland ist tatsächlich Front in einem weltweit geführten Krieg, der den Menschen allerdings weniger von einer Handvoll Terroristen aufgebürdet wird, die man auch mit den vorhandenen strafrechtlichen Mitteln hätte verfolgen können, als von einer kleinen Gruppe westlicher Funktionseliten, die in den Zentralen der Regierungen und Konzerne für die langfristige Absicherung ihrer Herrschaft und ihrer Lebenschancen sorgen. Es ist keine neue Erkenntnis, daß der neoliberale Kapitalismus den Staat vornehmlich auf Aufgaben beschränken will, die den Verwertungsinteressen der von diesem System profitierenden Gruppen zuarbeiten, während die staatliche Förderung des gesellschaftlichen und sozialen Gemeinwohls zwecks Kapitalisierung auch des letzten Partikels humaner Produktivität zurückgedrängt wird. Die Bestandssicherung der Kapitalinteressen und aller ihnen zuarbeitenden Funktionen ist das Ziel der verbliebenen staatlichen Kernkompetenz polizeilicher und geheimdienstlicher Repression, wie an den politischen Vorgaben und praktischen Ergebnissen der Sicherheitsadministration unschwer zu erkennen ist.

Rolf Gössner verhilft dem Leser nicht nur zu einem Überblick über die gesetzlichen Vorgaben und ermittlungs- wie vollzugstechnischen Methoden des modernen Sicherheitsstaats, er analysiert auch die innere Logik und politische Konsequenz eines Ermächtigungsstrebens, dem die dagegen gerichteten verfassungsrechtlichen Dämme immer weniger gewachsen sind. In fünf Kapiteln mit programmatischer Überschrift beleuchtet er die zentralen Problemfelder des Sicherheitsdiskurses und zeigt die wesentlichen Widersprüche zwischen dem legalistischen Anspruch des Staates auf Erweiterung seines Gewaltmonopols und dem legitimen Interesse der Zivilgesellschaft, sich nicht dem Phantasma des totalen Sicherheitsanspruchs zu unterwerfen, auf.

So schildert er im ersten Kapitel die Etablierung des "Permanenten Ausnahmezustands" mit Hilfe der eifrig geschürten Terrorangst, die etwa im Rahmen kultureller Großereignisse und medialer Kampagnen gezielt gegen Migranten und Muslime gerichtet wird. Er analysiert den Wandel des Repressionsapparats von einem an rechtsstaatliche Regeln gebundenen Organ der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr hin zu einem Instrument der generalisierten Verdächtigung und Bezichtigung von dementsprechender Auswirkung auf die Bereitschaft der Bürger, ihre unterstellte Schuldhaftigkeit durch vorauseilenden Gehorsam, sprich gegenseitige Observation und Denunziation, zu kompensieren.

Im zweiten Kapitel über "Antiterrorspezialitäten" vertieft Gössner den bereits aufgeführten Maßnahmenkatalog durch die detaillierte Darstellung einzelner Praktiken und Techniken, unter denen insbesondere biometrische und datenelektronische Verfahren für eine Kontrollinfrastruktur von nie dagewesener Lückenlosigkeit sorgen. Seine Abhandlung über das politische Strafrecht nach Paragraph 129 sollte jeden interessieren, der vorhat, in diesem Land sein Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Anspruch zu nehmen, und seine Ausführungen zur Übermittlung von Fluggastdaten an US-Behörden könnten für Reisende im Transatlantikverkehr eine durchaus aufregende, wenn auch ein wenig gruslige Lektüre darstellen.

Im dritten Kapitel wendet sich Gössner dem harten Schicksal von "Migranten in Zeiten des Terrors" zu und schaltet sich auf erfreulich nüchterne, dabei dennoch engagierte Weise in die Debatte um in Deutschland lebende Muslime ein. Angesichts der Stigmatisierung von Anhängern des Islam als potentielle Terroristen bezieht Gössner Position für das Recht der Betroffenen auf ein diskriminierungs- und verfolgungsfreies Leben. Die Schilderung der spezifisch Muslime betreffenden Maßnahmen des Staates gipfelt in einer besonders lesenswerten Analyse des Gesinnungstests, mit dem in Baden-Württemberg einbürgerungswillige Menschen dieser Religion auf ihre fdGO-Tauglichkeit überprüft werden. Schließlich zeigt er anhand des Zusammenwirkens der deutschen Flüchtlingsabwehr und der Terrorismusverfolgung auf EU-Ebene auf, wie Menschen aus politischem Kalkül heraus unter Terrorismusverdacht gestellt werden, um sie abschieben zu können, auch wenn ihr Leben in den Zielländern akut bedroht ist.

An dieser wie an anderer Stelle im Buch demonstriert Gössner die Zweckdienlichkeit eines Terrorismusbegriffs, der Regierungen auf der Basis so weitgefaßter wie auslegungsbedürftiger Definitionen Handhabe gibt, politische Aktivisten allein deshalb zu kriminalisieren, weil sie ihren außenpolitischen und geostrategischen Interessen zuwiderlaufen. Die Beschäftigung mit dem Problem ihrer Benachteiligung und Verfolgung in der Bundesrepublik ist schon deshalb zu empfehlen, weil die Ausgrenzung mißliebiger Minderheiten stets bei den Schwächsten anfängt, um von dort auf rechtlich besser geschützte Bürger überzugreifen. So zeigt sich am Verlauf der inneren Aufrüstung nicht nur in Deutschland, daß Antiterrorgesetze, die grundlegende Schutzstandards unterlaufen, stets zuerst gegen Ausländer gerichtet sind, um im nächsten Schritt Handhabe gegen soziale und politische Minderheiten unter den eigenen Staatsbürgern zu erlangen.

Im vierten Kapitel widmet sich Gössner den "Bürgerrechten in Zeiten rechten Terrors". Dabei thematisiert er nicht nur die altbekannte Tatsache, daß der Staat auf dem rechten Auge weitgehend blind ist und keinesfalls mit der gleichen Intensität antiterroristischer Gefahrenabwehr gegen rechte Gewalttäter vorgeht, wie er es im Falle linker Aktivisten tut, obwohl Neonazis eine erschreckende Bilanz an politisch motivierten Morden und Körperverletzungen für sich verbuchen können. In diesem Fall stößt Gössner die überfällige Debatte um die Frage an, inwiefern die Inanspruchnahme staatlicher Repression durch Antifaschisten den Bestand der demokratischen Kultur freier politischer Betätigung insbesondere in Bezug auf das Versammlungsrecht tangiert.

Gössner gibt zu bedenken, daß Forderungen nach einem Sonderrecht zur Ausgrenzung von Neonazis ein Interesse an politischer Repression bedienen, das im Zweifelsfall auch zu Lasten linker Aktivisten geht. Das belegt etwa der zwar gescheiterte, aber auf europäischer Ebene wieder aufgenommene Versuch der rot-grünen Bundesregierung, bei der Erweiterung des Volksverhetzungsparagraphen zwecks erleichterter Verhängung von Demonstrationsverboten gegen Neonazis nicht nur die Leugnung des Holocaust, sondern jeglicher Form von Völkermord für strafbar zu erklären, der "als geschichtlich gesichert anerkannte Tatsache" gelte. Explizit als Beispiel wurde in der Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums vom 11. Februar 2005 das "Leugnen des Völkermords im ehemaligen Jugoslawien" genannt. In diesem Fall gibt es bekanntlich begründeten Anlaß, etwa die Behauptung, die jugoslawische Regierung habe 1999 im Kosovo einen Völkermord begangen, als Vorwand zum Führen eines seinerseits völkerrechtswidrigen Kriegs der NATO zu verstehen. Da die rot-grüne Bundesregierung sich an diesem Völkerrechtsbruch beteiligt hat, ist verständlich, daß sie die weitere Aufklärung dieses Sachverhalts mit strafrechtlichen Mitteln unterbinden wollte.

Der Autor schlägt anstelle einer vor allem repressiv agierenden Bekämpfung des Nazismus vor, die gesellschaftliche Verankerung rassistischer Ressentiments zu berücksichtigen und einen grundsätzlicheren Umgang mit rechtsextremen Strömungen anzustreben:

"Deshalb bedarf es parallel zur offensiven Auseinandersetzung dringend flankierender politischer Gegenstrategien. Dazu gehört eine Sozialpolitik, die diesen Namen verdient, wir brauchen eine konsequente Antidiskriminierungspolitik, eine humane Asyl- und Migrantenpolitik, die Stärkung der Position von Minderheiten und eine bessere Unterstützung von Opfern rechter Gewalt. Gefordert sind also primär sozial- und verfassungsverträgliche Lösungsansätze - jenseits von V-Mann-Seligkeit und geheimdienstlichen Verstrickungen, jenseits von Rassisten und Schlägern im Dienste des Staates, jenseits aber auch von einer Fixierung auf Partei- und Versammlungsverbote, die sich möglicherweise rasch und generell auf ganz andere Parteien und Bevölkerungsgruppen auswirken könnten."
(S. 222)

Im fünften Kapitel beschäftigt sich Gössner mit dem "Paradigmenwechsel im Menschen- und Völkerrechtsdiskurs". Hier stellt der Autor den Ruf nach einem Feindstrafrecht, das frei nach US-amerikanischem Vorbild eine Klasse von Nichtmenschen in demokratischen Staaten schaffen soll, denen die Inanspruchnahme grundsätzlicher Menschen- und Bürgerrechte vorenthalten wird, in Zusammenhang mit der Erosion des Völkerrechts durch das Führen von Angriffskriegen. Der Autor beschließt das Buch mit dem Aufruf, sich angesichts der massiven Verschlechterung der Menschenrechtslage im Zeichen des Terrorkriegs

"verstärkt zusammenzuschließen, um global planen und konfliktlösend intervenieren zu können, (...) Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Verteidigung elementarer Freiheits- und Bürgerrechte, mit dem Ziel, die Aktionsbedingungen von nationalen und internationalen Protest- und Widerstandsbewegungen zu sichern, die für eine andere, für eine friedlichere Welt und eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung kämpfen: für eine Welt ohne Ausbeutung, Armut und Krieg. Und nur eine solche Welt kann sowohl dem internationalen Terror als auch dem staatlichen Gegenterror den Nährboden entziehen."
(S. 252)

Dem ist gerade angesichts der jüngsten Ereignisse um die G8-Proteste, aber auch der sogenannten Sicherheitsoffensive Schäubles mit ihrem schon vom schieren Ausmaß der geplanten Gesetzesverschärfungen her jede demokratische Opposition überwältigenden Ermächtigungsanspruch und dem gegen jegliche Form antikapitalistischer Aktion gerichteten Umgang mit den letzten Gefangenen der RAF nichts hinzuzufügen. Die Lektüre dieses Buches ist jedem zu empfehlen, den diese Entwicklung mit Sorge erfüllt und der sich der technischen wie juristischen Komplexität der Staatsschutzphalanx nicht ohnmächtig ausliefern will.

16. Mai 2007


Rolf Gössner
Menschenrechte in Zeiten des Terrors
Kollateralschäden an der "Heimatfront"
Konkret Literatur Verlag, Hamburg, 2007
288 Seiten
ISBN 978-3-89458-252-4