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REZENSION/382: Boeckh-Behrens, Buskies - Fitness-Krafttraining (SB)


Wend-Uwe Boeckh-Behrens, Wolfgang Buskies


Fitness-Krafttraining

Die besten Übungen und Methoden für Sport und Gesundheit



Wollte man einem Automechaniker weismachen, daß die Stoßdämpfer eines Fahrzeugs häufig und kräftig zusammengedrückt, also "trainiert" werden müßten, damit sie heil blieben, eine höhere Leistungsfähigkeit und längere Betriebsdauer erlangten, so würde er ob dieses Irrglaubens vermutlich mitleidig den Kopf schütteln und, falls es sich um einen freundlichen Zeitgenossen handelt, darüber aufklären, daß Autostoßdämpfer selbstverständlich so wenig wie möglich beansprucht werden sollten. Leider sind viele vermeintliche Experten auf dem Gebiet des menschlichen Körpers nicht mit solch pragmatischer Vernunft geschlagen. Sie empfehlen, die "Stoßdämpfer" des Körpers, also die Muskeln, welche die Wuchten und Stoßverläufe abdämpfen, regelmäßig kräftig zu belasten. Das muskuläre Gewebe soll durch Kraftübungen derart gedehnt und gereizt werden, daß es auf zellulärer Ebene aufreißt und anschwillt. Wend-Uwe Boeckh-Behrens und Wolfgang Buskies erklären in ihrem Buch "Fitness-Krafttraining - Die besten Übungen und Methoden für Sport und Gesundheit" das Hypertrophie genannte Dickenwachstum des Muskelgewebes wie folgt:

Jede überschwellige Kraftbelastung löst in den beanspruchten Strukturen, z. B. Muskulatur, Sehnen, Bänder, Knochen usw., eine Anpassungsreaktion aus, die in einer Verstärkung der von dem Reiz betroffenen Strukturen besteht. Die belasteten Strukturen sind somit gegen eine erneute gleiche Beanspruchung besser gewappnet. Es stellt sich quasi als "Schutzmaßnahme" des Organismus ein höheres Struktur- und Funktionsniveau ein, z. B. eine Zunahme der Masse und der Kraft des Muskels beim Muskelaufbautraining.

Der Anpassungsvorgang für die Hypertrophie beim Krafttraining ist allerdings noch nicht vollständig aufgeklärt. Es wird angenommen, daß es aufgrund überschwelliger Muskelbeanspruchung zu Mikrotraumen (kleinste Verletzungen) im Bereich der strukturellen Eiweiße in der Muskelfaser kommt. Dies veranlasst bestimmte Zellen (so genannte Satellitenzellen) am Rande der Muskelfaser dazu, die geschädigte Muskelfaser zu ersetzen bzw. sich mit ihr zu verschmelzen, was eine Zunahme der kontraktilen Masse zur Folge hat (...)."
(S. 26, 27)

In extremen Fällen einer permanent und über einen langen Zeitraum von außen an Muskeln herangetragenen Reizung geraten diese aufgrund des erlangten höheren Eigengewichts ihrerseits zu einer Last und dämpfen nicht etwa die Gelenke, sondern behindern ihre Bewegungsmöglichkeit. Bei wahren Extremsportlern auf dem Gebiet des Muskelzuwachses, den Bodybuildern, kann es sogar geschehen, daß die eigenen Blutgefäße unter dem Gewicht des muskulären Gewebes abgequetscht werden und die Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr unterbunden wird. Die Neigung zu Krämpfen ist ein typisches Problem in dieser Sportart.

Die beiden Bayreuther Hochschullehrer Boeckh-Behrens und Buskies geben keinerlei Empfehlungen zu solch einer ausgedehnten Hypertrophierung, wie sie im Bodybuilding unter fraglos großen persönlichen Strapazen angestrebt wird, ab. Sie favorisieren vielmehr einen sanften Weg zur Fitness durch ein moderates Krafttraining (S. 8). Dennoch handelt das Buch von nichts anderem als der vielfältigen Art und Weise, wie die "Stoßdämpfer" des Menschen überlastet und wie durch die Reizanpassung des muskulären Gewebes das ersehnte Dickenwachstum erreicht werden soll.

Das obige Zitat zeigt, daß sich die Autoren durchaus über den gegenwärtigen Forschungsstand, bei dem Muskelzuwachs als eine Verletzungsreaktion des Körpers angesehen wird, bewußt sind. Darum wundert es um so mehr, wenn sie noch immer die Ansicht vertreten, daß sich aus der wiederholten Zerstörung des Gewebes und dem Versuch des Körpers, den Schaden zu beheben, wundersamerweise eine höhere Funktion ergeben soll. Was zellular aufgerissenes und teilvernarbtes Gewebe mit Fitness und Gesundheit zu tun haben soll, bleibt ein Rätsel. Hier wird augenscheinlich eine Kultur der ewig gleichen Irrtümer betrieben, indem den Leserinnen und Lesern ein Körperbild nahegebracht wird, in dem der Mensch zu einem bloßen Stück Fleisch verkommt, das auf passive Weise bearbeitet und mannigfachen Formen der Gewichtsbelastung ausgesetzt wird, um darüber ein angeblich größeres Bewältigungspotential für allerlei Beschwernisse des Lebens zu erwirtschaften.

Die Autoren hängen die Meßlatte sehr hoch, wenn sie im pauschalisierenden Tonfall behaupten, daß fitnessorientiertes Krafttraining "für die Figurformung, die Körpergewichtskontrolle, den Muskelaufbau, die Prävention und Rehabilitation von Beschwerden des Bewegungsapparates, die Leistungsfähigkeit im Alltag und im Sport" (S. 8) in Fachkreisen und inzwischen auch unter Laien unstrittig sei.

Wer sich von solch einem Strauß an Verheißungen angesprochen fühlt, trifft in dem vorliegenden Buch sicherlich auf einen Fundus an Übungen, die seine Erwartungen erfüllen dürften. Neben einführenden Kapiteln, die sich mit Zielen, Methodik und Gefahren des Krafttrainings befassen, bietet das Werk eine Vielzahl an bebilderten Kraftübungen, die teils mit, teils ohne technische Hilfsmittel ausgeführt werden, um einzelne Körperpartien anzusprechen und zu formen. Übersichtlich gegliedert und mit einem Sachwortregister sowie einem Literaturverzeichnis ausgestattet, genügt "Fitness-Krafttraining" fraglos den Kriterien eines sportwissenschaftlichen Lehrbuchs. Wobei es sich der Rezensent allenfalls gewünscht hätte, wenn die Autoren auch Internetadressen zum Thema Fitness und Krafttraining vorgestellt hätten, da dieses Medium auf dem Fachgebiet des Krafttrainings zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Inhaltlich läßt das Buch jedoch an den Stellen zu wünschen übrig, an denen sich über die bloße Befolgung althergebrachter Übungen hinaus Fragen auftun. Beispielsweise warum davon ausgegangen wird, daß die Anpassung eines Muskels an eine spezifische Gewichtsbelastung zu einer unspezifischen Leistungssteigerung führen soll. Da bei den Übungen die Belastung möglichst eingegrenzt wird, was teils durch mechanische Hilfsapparaturen unterstützt wird, muß die Reizantwort des Muskels auf die Übungen logischerweise ebenfalls spezifisch bleiben. Das bedeutet, daß die Koordination einer Bewegung bei anderen Belastungsarten oder -richtungen aufgrund der antrainierten Prägung der Muskeln beschränkt bleiben wird.

Es soll hier gar nicht in Abrede gestellt werden, daß in unserer ausdifferenziert arbeitsteiligen Gesellschaft viele Menschen zu einer umfassenden Bewegungsarmut oder zu repetitiven Bewegungsabfolgen genötigt werden, die zu motorischen Dysfunktionen oder gar organischen Schäden führen können. Deshalb täte es den Betroffenen sicherlich gut, wenn sie sich in der arbeitsfreien Zeit anders bewegten. Die Leserinnen und Leser sollten sich jedoch fragen, ob sie Belastungsübungen, die an industrielle Produktionsabläufe erinnern und sehr starken Wiederholungscharakter aufweisen, als ein geeignetes Mittel betrachten, ihre Vorstellung von Fitness und Gesundheit zu erfüllen.

Das vorliegende Buch der beiden Sportwissenschaftler Wend-Uwe Boeckh-Behrens und Wolfgang Buskies präsentiert sich selbst als praktischer Ratgeber für eine bessere Lebensbewältigung, aber erweist sich statt dessen als Bedienungsanleitung zur grobmechanischen Überbelastung des menschlichen Bewegungsapparates.

30. April 2007


Wend-Uwe Boeckh-Behrens, Wolfgang Buskies
Fitness-Krafttraining
Die besten Übungen und Methoden für Sport und Gesundheit
rororo Sport
Rowohlt Taschenbuch Verlag
11. Auflage, Reinbeck, April 2007
478 Seiten, 15,90 Euro
ISBN 978-3-499-19481-8