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REZENSION/370: G. Carocci - Geschichte d. amerikanischen Bürgerkriegs (SB)


Giampiero Carocci


Kurze Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs

Der Einbruch der Industrie in das Kriegshandwerk



Über den Krieg zwischen der Union und den Konföderierten Staaten (1861 bis 1865) sind zahlreiche Bücher geschrieben worden, jedoch sicherlich keines, das die Ursprünge, den Verlauf und die Folgen des blutigsten Konfliktes des 19. Jahrhunderts dermaßen übersichtlich macht wie Giampiero Caroccis "Kurze Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs - Der Einbruch der Industrie in das Kriegshandwerk". Auf nur 158 Seiten - Fotos inbegriffen - schafft es der 1919 geborene Carocci, der früher als Journalist, später als Dozent für moderne Geschichte an der Universität von Rom arbeitete, alle wesentlichen Aspekte des Konfliktes wie die kulturellen Unterschiede zwischen Nord- und Südstaaten, die Meinungsunterschiede bezüglich des in der Verfassung verankerten Loslösungsrechts der einzelnen Bundesstaaten, die divergierenden wirtschaftlichen Interessen zwischen den Baumwollplantagenbesitzern und den Industriemagnaten, die technischen Erneuerungen, die Rolle des Streitpunktes Sklaverei, der Expansionsdrang gen Westen, die Beweggründe, Handlungsweisen und Charaktere der wichtigsten Persönlichkeiten wie Abraham Lincoln, Jefferson Davis, Ulysses Grant und Robert E. Lee in leicht lesbarer Sprache zu erläutern und in einen sinnvollen Zusammenhang zueinander zu bringen.

Bis heute scheiden sich in den USA an der Frage des amerikanischen Bürgerkrieges, der ohne Untertreibung das Land wie kein zweiter geprägt hat, die Geister. Dies zeigte zuletzt die unterschiedliche Rezeption des 2002 erschienenen Buches "The Real Lincoln - A New Look at Abraham Lincoln, His Agenda and an Unnecessary War". Sehr zum Leidwesen aller Lincoln-Verehrer wies Thomas J. DiLorenzo, Wirtschaftsprofessor am Loyola College in Maryland, detailliert nach, daß die Sklavenbefreiung dem angeblich "größten aller US-Präsidenten" nur als Mittel zum Zweck, nämlich zur Durchsetzung des Primats der Zentralregierung in Washington zu Lasten der einzelnen Gliedstaaten und zum Sturz der seit der Unabhängigkeit von Großbritannien tonangebenden Südstaaten-Aristokratie zugunsten der Plutokraten des Nordens, diente.

Carocci, dessen Buch erstmals 1996 in Italien erschienen ist und der weniger scharf als später sein amerikanischer Historikerkollege DiLorenzo mit Lincoln ins Gericht geht, betrachtet den amerikanischen Bürgerkrieg als praktisch unvermeidlichen Konflikt zwischen zwei konkurrierenden Gesellschaftsmodellen, bei dem sich die Unterscheidungen in gut und böse, richtig und falsch, aggressiv und passiv, fortschritts- und rückschrittsgewandt schwer treffen lassen. Für Carocci steht fest, daß "die Industrialisierung in letzter Analyse die eigentliche Triebkraft des Krieges" war. (S. 57) Das lange Festhalten der Südstaaten an der Sklaverei führt der Italiener weniger auf Rassismus als vielmehr auf die einfache Tatsache zurück, daß sich eine Mechanisierung, wie sie damals in den USA bei diversen Feldfrüchten bereits eingesetzt hatte - veranschaulicht im Buch durch ein erstaunliches Foto aus dem Jahr 1860 von einer von mehr als 20 Pferden gezogenen Riesenmähmaschine -, bei der Baumwollpflückerei nicht machen ließ.

So positiv Carocci die Sklavenbefreiung prinzipiell auch beurteilt, stellt er in der Praxis mehr Schein als Sein fest. Zur Begründung seiner Skepsis gegenüber der revolutionären Maßnahme führt er die Tatsache an, daß die von Lincoln am 22. September 1862 proklamierte Sklavenbefreiung zunächst nur als Werkzeug gegen die Konföderation gedacht war - die sklavenhaltenden Staaten der Union blieben vorerst von der Regelung ausgeschlossen. Hinzu kommt: "Insgesamt scheinen die Sklaven weniger hart gearbeitet zu haben als die Tagelöhner auf den Farmen des Nordens." (S. 18) Zwar verfügten laut Carocci die befreiten Sklaven nach dem Krieg über "größere ökonomische Autonomie", doch bildeten die für sie ungünstigen Eigentumsverhältnisse die "Schattenseite dieser Situation":

Ohne das nötige Kapital für den Kauf des Landes, des Maultiers und der landwirtschaftlichen Geräte, ohne Kredit oder nur zu den Bedingungen der Banken, Händler und Großgrundbesitzer konnte sich die Mehrzahl der Schwarzen nicht über das Niveau von Lohnarbeitern oder bestenfalls Kleinpächtern hinausarbeiten.
(S. 147)

Die Verwüstungen des Krieges, die hauptsächlich den Süden betrafen, machte nicht nur dessen alteingesessener Elite ein Ende, sondern warfen das Gebiet südlich der Mason-Dixon Line um Jahrzehnte zurück. Laut den von Carocci zitierten Statistiken "betrug der Anteil des Südens am Nationaleinkommen, der 1860 ungefähr die Hälfte ausgemacht hatte, 1900 kaum 10 Prozent". (S. 146) Unter diesem ungeheuren ökonomischen Rückgang des Südens hatten nicht nur die dortige weiße Ober-, Mittel- und Unterschicht, sondern auch deren frühere Sklaven sicherlich lange zu leiden.

Die Hauptbefürworter des Krieges im Norden dürften diese Folgen genauso wenig interessiert haben, wie sich heute die Feinde Saddam Husseins in Washington ernsthafte Sorgen um die sich seit 2003 drastisch verschlechterte Lage der einfachen Iraker machen. Schließlich bescherte der Bürgerkrieg den Industriellen im Norden nicht nur den entscheidenden Einfluß im Staat, sondern auch einen gigantischen Wirtschaftsaufschwung, der Amerika zur Supermacht von heute machen sollte. J. P. Morgan zum Beispiel, jener Räuberbaron par excellence, dessen nach ihm benanntes Bankhaus noch heute die Weltwirtschaft mitlenkt, machte zum Beispiel sein erstes Vermögen im Bürgerkrieg durch den völlig überteuerten Verkauf defekter Gewehre an die Unionstruppen.

Nicht umsonst erklärte Lincoln während des Konflikts: "Ich habe zwei große Feinde, die Armee des Südens vor mir und die Bankiers im Rücken. Von den beiden ist derjenige im Rücken mein größter Gegner." Es gibt deswegen auch Theorien, wonach hinter dem bis heute mysteriösen, tödlichen Attentat auf Lincoln am 14. April 1865, acht Tage nach der Kapitulation General Lees, des Oberkommandierenden der Streitkräfte des Südens, weniger unzufriedene Konföderationsanhänger, als vielmehr mächtige Finanzinteressen steckten, welche die mit der 1862 erstmals erfolgten Herausgabe des "Greenback", der zinsfreien U. S. Treasury Note, Vorgängerin des heutigen Dollars, einhergehende Währungsreform torpedieren wollten - was ihnen schließlich auch gelang.

Laut Carocci wurde der Konflikt zwischen Nord- und Südstaaten vor allem "wegen der technischen Neuerungen, die auf beiden Seiten zum Einsatz kamen, zum ersten modernen Krieg":

Auf neuartige Weise oder überhaupt zum ersten Mal spielten Eisenbahnen, Kriegsschiffe, der Telegraph, Repetiergewehre und auf Zügen montierte Artillerie, Erkundungsballons, Schützengräben und Stacheldrahtverhaue eine militärische Rolle.
(S. 77)

Der berühmte "Marsch zum Meer" des Unionsgenerals William Tecumseh Sherman durch den Südstaat Georgia einschließlich der Niederbrennung der Hauptstadt Atlanta sollte nach Ansicht vieler Historiker später dem deutschen Generalstab als Vorbild für den "Blitzkrieg" 1939/40 dienen. Shermans grausame Taktik der verbrannten Erde sollte darüber hinaus sowohl in den Indianerkriegen im Westen der USA Ende des 19. Jahrhunderts als auch im Vorgehen der Wehrmacht an der Ostfront zwischen den Jahren 1941 und 1945 ihre Fortsetzung finden. Über den in der Militärgeschichte bahnbrechenden Gewaltmarsch, der auch einen nicht unwichtigen Teil des Hintergrunds von Margaret Mitchells berühmter Erzählung "Vom Winde verweht" darstellt, schreibt Carocci:

Lagerhäuser, Fabriken, Mühlen, Bahnhöfe, Waggons und Lokomotiven wurden zerstört, Gleise herausgerissen und Brücken gesprengt. Ein Adjutant Shermans schrieb: "Wo wir vorbeikamen, hinterließen wir nackte Erde: Feuer, Asche und Verzweiflung."
(S. 115)

Doch nicht nur für die Zivilbevölkerung, sondern auch für den einfachen Soldaten wurde mit dem amerikanischen Bürgerkrieg eine neue Qualität der menschlichen Grausamkeit erreicht, wie Carocci am Beispiel der Battle of Cold Harbor aus dem Jahr 1864 deutlich macht:

Die Soldaten der Union sollen sich vor der Schlacht Zettel mit Name und Adresse auf dem Rücken festgemacht haben, um die Identifizierung der Leichen zu ermöglichen. In zwei oder drei Stunden fielen acht- oder neuntausend Mann, doch die Linien der Konföderierten waren kaum gelichtet. Das Gemetzel zeigte bereits alle schrecklichen Seiten der modernen Kriegsführung. Die Verwundeten, auf die niemand achtete, starben an Durst und Hunger oder verbluteten. Die Leichen verwesten auf dem Schlachtfeld, während die Gewehre ihr Werk der Vernichtung fortsetzten. Offiziere und Soldaten kämpften nur noch wie Automaten, ohne jede Hoffnung. Der Krieg hatte vor so langer Zeit begonnen, daß sich niemand mehr etwas anderes vorstellen konnte, und er würde weitergehen, bis auf beiden Seiten keiner mehr am Leben war.
(S. 121)

Gerade dieses Zitat weckt Erinnerungen an jene tragikomische, wie zugleich erschütternde Szene im Film "Zwei glorreiche Halunken", in der sich "Blondie" (Clint Eastwood) und Tuco (Eli Wallach) an der Fortsetzung ihrer verwegenen Suche nach einem verborgenen Goldschatz durch eine gigantische Schlacht zwischen Unions- und Konföderationstruppen beidseitig eines Flusses gehindert sehen und deshalb die heftigst umkämpfte Holzbrücke mittels Dynamit einfach in die Luft jagen, um die beiden Armeen zum Abzug zu veranlassen. Auch wenn der Vergleich hinkt - schließlich handelt es sich um zwei ganz unterschiedliche Medien - läßt sich Caroccis "Kurzgeschichte des amerikanischen Bürgerkriegs" durchaus mit dem cineastischen Meisterwerk Sergio Leones in einem Atemzug nennen. Wie seinem italienischen Landsmann ist es Carocci gelungen, das Wesentliche an diesem wichtigen Krieg herauszuarbeiten und es einem jeden Interessierten näherzubringen.

24. Januar 2007


Giampiero Carocci
Kurze Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs
Der Einbruch der Industrie in das Kriegshandwerk
Original "Storia della guerra civile americana", aus dem Italienischen
übersetzt von Friederike Hausmann
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2007
158 Seiten, 10,90 Euro
ISBN-13: 978-3-8031-2281-0
ISBN-10: 3-8031-2281-3