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REZENSION/367: Der Brockhaus - Sport (Lexikon) (SB)


Der Brockhaus


Sport

Sportarten und Regeln, Wettkämpfe und Athleten, Training und Fitness



Die modernen Arenen, in denen sportliche Wettkämpfe ausgetragen werden, haben längst die architektonischen Begrenzungen ihrer antiken Vorbilder überwunden und erstrecken sich über Gletscher, offenes Meer, Wüsten oder sogar über das gewöhnliche Straßennetz. Medien sind zwischen Zuschauer und Athlet geschaltet, um das ferne Treiben dem Volk nahezubringen. Dennoch hat das alte lateinische Motto panem et circenses - Brot und Zirkusspiele - seine Bedeutung als herrschaftssicherndes Instrument nie verloren.

Mehr denn je dient der nach Regeln ausgetragene sportliche Vergleich den Menschen als Projektionsfläche für tief empfundene Emotionen. Der Glaube an die Zugehörigkeit zu einer sich über Sport identifizierenden sozialen Gruppe trägt nicht bloß religiöse Züge, er hat mitunter die Form einer Religion angenommen. Triumphaler Aufstieg und tragischer Fall der Athleten bilden dabei zwei Seiten derselben Medaille und gehören zum modernen Gladiatorentum genauso dazu wie in der Antike. Doch ob sich eine Person oder Mannschaft, eine Stadt oder Nation gegenüber Konkurrenten als siegreich oder unterlegen erweist, spielt keine besondere Rolle, da das Glaubensbekenntnis dem Prinzip des Vergleichs gilt, nicht seinem vergänglichen Resultat.

Sport live oder im Fernsehen anzuschauen erfüllt eine tragende gesellschaftliche Funktion und wird von den Politikern auch als ordnungsstabilisierender Faktor wahrgenommen und gefördert. Ein Lexikon über Sport wie der vorliegende "Brockhaus" erscheint somit als logisches Produkt einer zutiefst von Wetteifer durchdrungenen menschlichen Gesellschaft. Die Archivierung vergangener Leistungsdaten verheißt eine über den sportlichen Niedergang des natürlicherseits schwächer werdenden Individuums hinausgehende Permanenz, eine von dem Leistungserbringer abstrahierte Dauerhaftigkeit, die selbstverständlich nur Bestand haben kann, solange die vorherrschende Ordnung dafür sorgt.

Die Botschaft an den Sportler und mit ihm an den Zuschauer lautet: Wer sich den Regeln des Wettkampfs unterwirft, profitiert vom System und wird, falls er sich gegenüber seinen Konkurrenten durchsetzt, niemals vergessen. Doch nicht der Sportler wird verewigt, sondern die abstrakte Zahl, und selbst sie kann von den Leistungen nachfolgender Sportlergenerationen getilgt werden.

Ein Lexikon über Athleten, Regeln, Sportarten und Wettkämpfe erscheint als neuzeitlich ausdifferenzierte Konsequenz antiker Tontafeln und -vasen, auf denen Wettkampfgeschehen nachgezeichnet und im Feuer zur Dauerhaftigkeit gehärtet wurden. Von A wie Aamodt bis Z wie Zwölfkampf findet sich im vorliegenden "Brockhaus Sport" vieles, was für sportinteressierte Leser von Bedeutung sein könnte. Wer beispielsweise bisher nicht wußte, warum Baseball-Helden in den USA nach der Zahl ihrer Home Runs bewertet werden, erhält aus dem Brockhaus-Lexikon Sport die nötigen Informationen. Auch wird er von der Lektüre in den Stand versetzt, künftig den Verlauf eines Baseball- Spiels verfolgen zu können. Gleiches gilt für andere Sportarten, deren Regelwerk hier in klaren Worten erläutert wird.

Obgleich in dem vorliegenden Sportlexikon 3500 Begriffe behandelt werden und zahlreiche Fotos, Grafiken, Tabellen, Übersichten, Infokästen und Sonderartikel das Informationsangebot für die Leserschaft erweitern, vermag es selbstverständlich nicht die komplette Bandbreite des Sports abzudecken. Das Phänomen ist derart vielschichtig, daß selbst bei einem Buchumfang von 543 Seiten notgedrungen Lücken bleiben müssen. Daß der Verlag solch eine Lücke ausgerechnet beim Thema Sportverletzungen eingerichtet hat, zeugt allerdings von einem ausgeprägten Bedürfnis, vorzugsweise die positiven Aspekte des Sports und nicht das Phänomen mit all seinen Facetten beschreiben zu wollen. Für einen Sportler sind dagegen Verletzungen ein ungeheuer wichtiges Thema, das beispielsweise dem des Dopings in nichts nachsteht. Dennoch wird ersteres unterschlagen und letzteres breitgetreten.

Solch eine Lücke entsteht sicherlich nicht zufällig. Verletzungen sind die Kehrseite der Medaille, die den Siegern bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen um den Hals gehängt wird. Daß manche erfolgreiche Turnerin von einst heute mit Krücken geht oder im Rollstuhl fährt, daß Schwerathleten unter Krämpfen und alternde Ausdauersportler unter Herzbeschwerden leiden, findet nicht die Beachtung, die es verdiente, würde doch durch solche Hinweise das vermeintlich schöne Bild des Sports und damit des Leistungsgedankens an sich in Frage gestellt.

Der Mensch hätte sicherlich gute Gründe, die Grenzen seiner Physis fundamental in Frage zu stellen. Aber was selbst für den Hochleistungssportler gilt, dessen persönliches Ringen um Überwindung der eigenen Unzulänglichkeit in die zivile Bahn des sportlichen Wettkampfs gelenkt und gebändigt wurde, gilt um so mehr für den beobachtenden Konsumenten sportlichen Tuns, der die Stadien füllt oder sich vor den Fernseher kauert. Womit nicht in Abrede gestellt werden soll, daß das Brockhaus-Sportlexikon für diejenigen Leserinnen und Leser, die sich "einfach nur" für Sport interessieren, ein lehrreicher Pfadfinder durch das riesige Repertoire medial verwerteter sportlicher Aktivitäten sein kann.


16. Januar 2007


Der Brockhaus: Sport
Sportarten und Regeln, Wettkämpfe und Athleten, Training und Fitness
6., völlig neu bearbeitete Auflage, F.A. Brockhaus, Mannheim 2006
543 Seiten, 34,95 Euro
ISBN-10: 3-7653-2976-2
ISBN-13: 978-3-7653-2976-0