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REZENSION/321: Peter Warren Singer - Die Kriegs-AGs (Wehrkunde) (SB)


Peter Warren Singer


Die Kriegs-AGs



Spätestens seit dem Einmarsch der Streitkräfte der von den USA angeführten "Koalition der Willigen" in den Irak im Frühjahr 2003 sind die privaten Militärdienstleister, die erstmals in den neunziger Jahren auf dem Balkan (MPRI) und in Westafrika (Sandline, Executive Outcomes) von sich reden machten, vom modernen Kriegsschauplatz nicht mehr wegzudenken. Die bestialische Tötung von vier Söldnern der Firma Blackwater und die Aufhängung ihrer verkohlten Leichen 2004 durch sunnitische Aufständische in Falludscha sollten die US-Streitkräfte zum Anlaß für eine monatelange Belagerung nehmen, die an Grausamkeit jedem Vergleich mit Stalingrad, Berlin, Hue und Grosny standhält. In die Folter von Gefangenen in Abu Ghraib im selben Jahr waren auch Mitarbeiter der Firmen Titan und CACI Systems verwickelt, nur daß sie im Unterschied zu den Kameraden von der regulären US-Armee - natürlich nur zu denen der untersten Ebene wie Lynndie England und Charles Graner und nicht zu den Vernehmungsspezialisten des Militärgeheimdienstes oder den leitenden Offizieren - niemals juristisch zur Verantwortung gezogen wurden. Seit drei Jahren sorgt zudem die Diskussion um Geldverschwendung, Korruption und Mißmanagement in Verbindung mit den milliardenschweren Aufträgen, die in Washington politisch einflußreiche Konzerne wie Bechtel und das Halliburton-Tochterunternehmen Kellogg, Brown & Root (KBR) zur Unterstützung des US-Militärs im Irak und zum Wiederaufbau der dortigen Infrastruktur - vornehmlich der Ölindustrie, versteht sich - erhalten haben, in der Presse für Schlagzeilen und im Kongreß für erhitzte Gemüter.

Wer diese unheilvolle Entwicklung hat kommen sehen, ist Peter Warren Singer, der an dem den US-Demokraten nahestehenden Brookings Institute in Washington Fellow des Studienprogramms für Außenpolitik und Koordinator des Projektes der US-amerikanischen Außenpolitik gegenüber der islamischen Welt ist. Bereits im Mai 2003 erschien in den USA Singers umfangreiche Studie "Corporate Warriors - The Rise of the Privatized Military Industry", die nun von Zweitausendeins als "Die Kriegs-AGs", um ein aktuelles Nachwort des Autors erweitert, veröffentlicht wurde. Zurecht trägt das Buch auf seiner Titelseite folgendes Prädikat der angesehenen, in Hongkong erscheinenden Asia Times Online: "Das erste umfassende und das bei weitem beste Buch über die privaten Militärfirmen."

Angefangen bei Xenophons "Zehntausend", über diverse berühmte Söldnertruppen wie die Mamelucken im Vorderen Orient, die indischen Sepoys, die nepalesischen Gurkhas, die irischen "Wild Geese", die Schweizergarde des Papstes, die deutschen "Hessians" im US- Unabhängigkeitskrieg bis hin zu namhaften Kriegsherren der Geschichte wie Wallenstein zeigt Singer, wie sehr der Krieg bis zum Aufstieg der Massenheere im Zuge der Französischen Revolution und der Entstehung der Nationalstaaten eine Sache spezialisierter Bevölkerungs- und Berufsgruppen war. Im gleichen Maße, wie private Militärfirmen inzwischen die regulären Streitkräfte vieler Staaten an Schlagkraft und moderner Ausrüstung übertreffen, sieht Singer die bisherige internationale Staatenordnung gefährdet. Nicht umsonst warnt er eindringlich vor einer Rückkehr derjenigen anarchistischen Verhältnisse, welche die Menschheit mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und dem Westfälischen Frieden von 1648 hinter sich gelassen zu haben meinte.

Angesichts des Vernichtungspotentials der heutigen Rüstungstechnologie müßte man Singers Warnung sehr ernst nehmen. Leider sind es jedoch gerade die USA und Großbritannien, die in den letzten Jahren - siehe die völkerrechtlich illegalen Feldzüge gegen Jugoslawien 1999 und den Irak 2003 - dem von ihnen selbst am Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffenen System der Vereinten Nationen als wichtigstes Forum für die Erörterung und Schlichtung internationaler Streitfragen nachhaltig schaden und den Aufstieg eigener Militärkonzerne befördern. So hat Bechtel Ende letzten Jahres den Management-Auftrag für das Nationale Atomlabor Los Alamos in New Mexico übernommen, während KBR seit einiger Zeit den Hafen der britischen Atom-U-Boot-Flotte betreibt. Auch in Deutschland fassen solche Konzerne Fuß, wie der umstrittene Umstrukturierungsplan des pentagonnahen US-Unternehmens Booz-Allen, Hamilton für die Deutsche Bahn AG zeigt.

Doch es ist nicht nur die internationale Staatenordnung, die durch das Auftreten privater Militärfirmen aus den Fugen gerät, sondern auch das Verhältnis zwischen Bürgern und Nation. Wenn die Regierung militärische Leistungen nach Belieben einkaufen kann, dann wird der Bürger in Uniform in mehrfacher Hinsicht überflüssig. Auf ihn als Wähler und als potentiellen Soldaten muß keine Rücksicht mehr genommen werden. Hinzu kommt, daß die parlamentarische Kontrolle des Einsatzes der Streitkräfte durch die Exekutive für Legislative und Judikative erschwert bis fast unmöglich gemacht wird, wenn auch noch Privatfirmen im Spiel sind, die auf ihren geschäftlichen Geheimnisschutz pochen.

Welche Auswüchse der zunehmende Rückgriff auf private Militärdienstleister hat, zeigen die Erfahrungen im Irak. Dort sind derzeit schätzungsweise zwischen 25.000 und 35.000 Mitarbeiter von privaten Sicherheitsunternehmen stationiert. Diese stellen inzwischen das zweitgrößte Kontingent nach den USA, aber weit vor Großbritannien. Die Tatsache, daß diese Unternehmen in Bereichen wie Logistik, Reinigung, Transport und Verpflegung am liebsten billige Arbeitskräfte aus Ländern wie Indien und den Philippinen anheuern, hat dazu beigetragen, daß viele Iraker nach dem Sturz Saddam Husseins arbeitlos blieben und daß der Wirtschaft des Landes größere Mengen Kapitals entzogen wurden. Dadurch kam der versprochene Wiederaufbau nicht voran, was wiederum den Aufstand gegen die Besatzer nährte.

Doch auch die US-Streitkräfte haben infolge der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Pentagon und den zahlreichen Söldnerfirmen zu leiden. Armee und Marineinfanterie der USA plagen derzeit schwerwiegende Personalprobleme, und das nicht nur wegen des blutigen Chaos im Irak. Viele US-Soldaten, darunter auch erfahrene Mitglieder der Spezialstreitkräfte, kündigen den Dienst auf, um sich bei einem Militärunternehmen zu verdingen, wo sie das Vielfache des regulären Soldes bei gleichbleibender Gefahr für Leib und Leben verdienen können. Dieses Phänomen wirkt sich wiederum negativ auf die Moral der einfachen GIs im Irak aus, die sich als Billigsoldaten - nach Angaben des Institute for Policy Studies (IPC) verdient ein Gefreiter der US- Armee jährlich 24.000 Dollar, der Durchschnittsmitarbeiter einer Söldnerfirma dagegen rund 100.000 Dollar - vorkommen müssen.

Mit "Die Kriegs-AGs" setzt Peter Singer dem lange Jahre währenden Umstand, daß die private Militärbranche unerforscht und undurchsichtig war, ein Ende. Unter anderem mit der sogenannten "Speerspitzen" - Typologie (S. 157), der Unterscheidung in Firmen nach Dienstleistungspektrum und Nähe zum Gefechtsfeld -
1. Militärdienstler: Umsetzung/Kommando (Sandline, Executive Outcomes);
2. Militärische Beraterfirmen: Beratung und Schulung (MPRI, Vinnell, DynCorp);
3. Militärnahe Dienstleister: "unblutige" unterstützende Dienstleistungen aller Art (Brown & Root, SAIC) -
führt er den interessierten Leser durch die Niederungen einer immer wichtiger werdenden Industrie, die weltweit inzwischen 100 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr macht, Tendenz steigend.

Singers Forschungarbeiten werfen viele beunruhigende Fragen auf und schärfen den Blick für ein Phänomen, das wie kein zweites die Gesellschaft, wie wir sie bisher kannten und konzipierten, umzupflügen droht. Einige Experten wie beispielsweise der von Singer zitierte israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld halten einen Rückfall der "globalisierten" Welt in eine Ära privater Warlords sogar für fast unvermeidlich. An "Die Kriegs-AGs", das bereits jetzt als Klassiker seines Faches gilt, ist lediglich eine kritische Unschärfe, sowohl was die ökonomischen Zusammenhänge, als auch, was die Außen- und Sicherheitspolitik Washingtons speziell unter den Demokraten betrifft, auszusetzen. So wird beispielsweise die unter Präsident Bill Clinton von MPRI und der NATO geleistete militärische Unterstützung für die kroatische Armee bei der Rückeroberung der Krajina einschließlich der Vertreibung Hunderttausender Serben 1996 und für die "Terroristen" von der albanischen UCK 1999, nur damit letztere ein fast "serbenfreies" Drogen- und Schmuggelparadies im Kosovo errichten konnte, als humanitäre Großleistung verkauft.


Peter Warren Singer
Die Kriegs-AGs
Aus dem Englischen (Originaltitel: "Corporate Warriors -
The Rise of the Privatized Military Industry")
von Karl Heinz Siber
Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main, 2000
502 Seiten
ISBN-10: 3-86150-758-7 / ISBN-13: 978-3-86150-758-1


13.04.2006