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REZENSION/295: Barbara Victor - Beten im Oval Office (US-Politik) (SB)


Barbara Victor


Beten im Oval Office

Christlicher Fundamentalismus in den USA und die internationale Politik



Mit dem Abschied vom Sozialstaat der Ära nach 1945 und der rasanten Zunahme von Armut und gesellschaftlicher Unausgewogenheit gewinnt im längst säkularisiert geglaubten Europa die Religion unverkennbar wieder an Bedeutung. Wer dachte, der ganze Mummenschanz vergangener Jahrhunderte kehre niemals wieder zurück, der hat sich gewaltig getäuscht. Das Christentum ist derzeit in Europa wieder voll auf dem Vormarsch, wie einige Beispiele aus letzter Zeit zeigen: im Frühjahr strömen Millionen von Pilgern nach Rom zur Trauerfeier von Papst Johannes Paul II. und zur Amtseinsetzung seines Nachfolgers Benedikt XVI; in Polen übernehmen katholische Chauvinisten die Macht; in Frankreich beschimpft der Innenminister und Präsident in spe, Nicolas Sarkozy, randalierende, muslimische Jugendliche nordafrikanischer Herkunft als "Abschaum" und kündigt öffentlich das seit 1789 hochgehaltene, revolutionäre Prinzip der "Gleichheit" auf; in der protestantischen Trutzburg Großbritannien sitzt mit Ruth Kelly eine Anhängerin des erzreaktionären, katholischen Ordens Opus Dei als Erziehungministerin am Kabinettstisch, während Premierminister Tony Blair mit der hochumstrittenen Entscheidung zur Teilnahme Londons am Irakkrieg den wichtigsten Vertreter eines "muskulären" Christentums im "alten Europa" gibt.

Gegen die Religion wäre nichts einzuwenden, behielten die Gläubigen welcher jenseitiger Instanzen auch immer ihre Privatüberzeugungen für sich und ließen andere Menschen damit in Ruhe. Zweifelsohne hat es gegeben und gibt es heute noch unzählig viele religiös motivierte Menschen - Buddhisten, Christen, Hindus, Juden, Moslems u. v. m. -, die ihren Glauben in allererster Linie mit Bescheidenheit und Dienst am Nächsten statt mit Engstirnigkeit und Selbstgerechtigkeit bezeugen. In Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche sind es jedoch leider immer wieder diejenigen, welche sich der Religion als Unterscheidungsmerkmal und politische Waffe bedienen, die den Ton angeben. In keinem anderen westlichen Industriestaat hat die unsägliche Verquickung von Religion und Politik ein so dramatisches Ausmaß angenommen wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, die seit nunmehr fünf Jahren in der Person von Präsident George W. Bush erstmals von einem "wiedergeborenen" Christen regiert werden. In "Beten im Oval Office" geht Barbara Victor der Frage des Einflusses der christlichen Fundamentalisten auf die Innen- und Außenpolitik der einzigen Supermacht nach. Das Ergebnis ihrer aufschlußreichen und leicht lesbaren Recherche ist mehr als beunruhigend und läßt für die Zukunft unserer Welt schlimmstes befürchten.

Die abwechselnd in New York und Paris lebende Victor gilt als Nahost- Expertin. Sie arbeitete 15 Jahre als Korrespondentin für die Nachrichtenredaktion des großen amerikanischen Fernsehsenders CBS und hat in dieser Zeit mit den wichtigsten Politikern Israels und der USA Interviews führen können. Mit der Veröffentlichung des Buches "Army of Roses - Inside the World of Palestinian Suicide Bombers", einer mutigen Auseinandersetzung mit dem schwierigen, weil politisch geladenen Thema palästinensischer Selbstmordanschläge, hatte Victor zuletzt im Jahre 2003 auf sich aufmerksam gemacht. Gegenstand ihrer neusten Untersuchung ist eine nicht weniger fanatische Gruppe, denn die christlichen Fundamentalisten in den USA glauben an die baldige Rückkehr ihres Heilands Jesus Christus einschließlich des Todes aller Ungläubigen und der Errichtung eines 1000jährigen Reiches auf Erden, dem die Fahrt ins göttliche Himmelreich folgen soll. Erschreckend ist vor allem, daß die rund 80 Millionen Anhänger eines solchen messianischen Hokuspokus inzwischen eine der politisch einflußreichsten Gruppen in den USA bilden. Nicht zuletzt die breite Unterstützung der religiös-konservativen, christlichen Wähler hat George W. Bush 2000 und 2004 ins Weiße Haus gebracht.

Wer wie Victor sagt, daß die christlich-fundamentalistischen Bürger Amerikas allein Bush jun. den Sieg bei den beiden letzten Präsidentschaftswahlen beschert hätten, ignoriert die entscheidende Rolle, welche 2000 die konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof, angeführt von den beiden Opus-Dei-Mitgliedern Antonin Scalia und Clarence Thomas, beim Streit um die Stimmenauszählung in Florida und 2004 jene elektronischen Wahlmaschinen, welche der republikanischen Partei nahestehende Firmen zur Verfügung gestellt hatten, gespielt haben. Vor diesem Hintergrund gibt es mehr als Anlaß genug, die These vom regulären Sieg Bushs bei den letzten Präsidentschaftswahlen anzuzweifeln. Gleichzeitig schmälert dieser Einwurf in keiner Weise die Dringlichkeit von Victors Warnung vor dem politischen Einfluß der religiösen Rechten in den USA. Gerade die vielen Hinweise auf dubiose Machenschaften seitens der Republikaner 2000 und 2004 sind ein wichtiger Beleg für die Entschlossenheit, Gerissenheit und offen gesagt anti-demokratische Gesinnung derjenigen, die meinen, die Vereinigten Staaten auf den Pfad der Tugend zurückführen und eine globale Pax Americana errichten zu müssen.

Angefangen von der Landung der Puritaner in Neu-England über die Trennung von Kirche und Staat durch die Gründerväter bis zur Entstehung von Erweckungsbewegungen im 19. Jahrhundert - Prämilleniarismus, Dispensationalismus - schildert Victor en passant die wichtigsten Meilensteine der früheren Geschichte der christlichen Rechten in den USA. Bezüglich der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg, speziell von den siebziger Jahren an bis heute, geht die Autorin ins Detail. Interessant in diesem Zusammenhang ist die von Victor hervorgehobene Tatsache, daß der berühmte US-Prediger Billy Graham, der bekanntlich Bush jun. Mitte der achtziger Jahre geholfen hat, mit dem Trinken aufzuhören, 1948 eine wichtige Rolle bei der Anerkennung des Staates Israel durch seinen Freund US-Präsident Harry S. Truman gespielt haben soll.

Im vorliegenden Buch nehmen die Beziehungen zwischen Israel und den jüdischen Organisationen in den USA einerseits und der christlichen Rechten Amerikas andererseits eine Sonderstellung ein. Zu der unheilvollen Allianz zwischen israelischem Likud und US-Republikanern kam es Anfang der achtziger Jahren, als Menachem Begin in Tel Aviv und Ronald Reagan in Washington an der Macht waren. Seitdem spenden Amerikas christliche Fundamentalisten jährlich rund eine Milliarde Dollar an Israel, während ihre politischen Vertreter im Repräsentantenhaus und Senat dafür sorgen, daß den israelischen Streitkräften niemals die Waffen ausgehen. Inzwischen ist es so, daß viele christliche Evangelikale in den USA von der Gesinnung her "zionistischer" sind als die meisten Juden Amerikas, die, eher säkular ausgerichtet, traditionell der demokratischen Partei nahestehen.

Wie Victor richtigerweise feststellt, haben zwei Schlüsselereignisse die christlich-jüdische Allianz unserer Tage erst richtig zusammengeschweißt: erstens die 444tägige Geiselnahme in der US- Botschaft in Teheran im Zuge der islamischen Revolution im Jahre 1979 und zweitens die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon. Ersteres Ereignis pauschal als "Terroranschlag" zu bezeichnen mag zwar dem Empfinden der meisten US-Bürger entsprechen, wird aber der damals durchaus begründeten Befürchtung der iranischen Studenten, daß die US-Botschaft in Teheran ähnlich wie bei dem von der CIA betriebenen Sturz Mohammed Mossadeghs im Jahre 1953 als Brückenkopf für eine Konterrevolution dienen könnte, nicht gerecht.

Darüber hinaus läßt das vorliegende Buch jeden Hinweis darauf vermissen, daß die US-Republikaner 1980 mit Ajatollah Khomeini im geheimen vereinbart haben, daß Teheran die Botschaftsgeiseln bis nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl im November jenes Jahres festhielt. Dieser teuflische Pakt, der dem Demokraten Jimmy Carter letztlich die Wiederwahl als US-Präsident kosten sollte, bildete den Ausgangspunkt des späteren Iran-Contra-Skandals, der nach seinem Auftakt im Jahre 1986 die zweite Amtszeit Reagans völlig überschattete.

Unter anderem auf Basis eigener Interviews präsentiert Victor eine Reihe von Porträts der wichtigsten Vertreter der religiösen Rechten in den USA wie Jerry Falwell und Pat Robertson und ihrer politischen Wasserträger in Washington wie der Kongreßabgeordnete Tom Lantos und Senator Sam Brownback. Die beiden Tele-Evangelisten Falwell und Robertson, die dank der Spendenfreudigkeit ihrer Gemeindemitglieder seit mehr als 20 Jahren den Kurs der republikanischen Partei der USA maßgeblich beeinflussen, waren es, die wenige Tage nach den Flugzeuganschlägen den 11. September zur Rache Gottes erklärten und für das schreckliche Ereignis die Homosexuellen, Lesben, Bürgerrechtler und Linken Amerikas verantwortlich machten. Gerade in diesem Sommer hat Robertson weltweit für Schlagzeilen gesorgt, als er öffentlich zur Ermordung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, dessen von den USA unabhängige Politik Washington seit längerem ein Dorn im Auge ist, aufrief. Solche Sprüche, welche Falwell, Robertson und ihresgleichen am laufenden Band produzieren - sie bezeichnen zum Beispiel Islam-Gründer Mohammed als "Terroristen" oder Allah als einen gegenüber Jahwe minderwertigen "Mondgott" -, zeugen von einem Christentum, das nichts mit der Botschaft der Liebe, sondern alles mit Herrschaftsanspruch und Drangsalierung zu tun hat.

Wenn Victor schreibt, die Vereinigten Staaten liefen "derzeit Gefahr, sich von einer Demokratie mit verfassungsmäßiger Trennung von Staat und Kirche in eine Theokratie zu verwandeln", dann trifft diese Diagnose voll und ganz zu. Bedenkt man das aktuelle Werben der religiösen Rechten durch die Demokraten, angeführt von der Senatorin und Möchtegern-Präsidentin Hillary Clinton, die sich in letzter Zeit demonstrativ vom Abtreibungsrecht der Frau distanziert, die unsäglichen Debatten um die gleichgeschlechtliche Ehe und den Unterricht der Evolutionslehre an amerikanischen Schulen, die drastische Zunahme präsidialer Machtbefugnisse im Rahmen des sogenannten "Antiterrorkrieges", den Ausbau und die Zementierung der konservativen Mehrheit im Obersten Gerichtshof durch die Berufung von John Roberts und - voraussichtlich - Samuel Alito sowie die jüngste Affäre um die Missionierungstätigkeit christlicher Fundamentalisten an der U. S. Air Force Academy in Colorado Springs, deren Absolventen einen Gutteil des amerikanischen Atomwaffenarsenals in den Händen halten, sieht die Zukunft nicht nur für Amerika alles andere als rosig aus.


Barbara Victor
Beten im Oval Office
Christlicher Fundamentalismus in den USA
und die internationale Politik
Aus dem Englischen (Originaltitel "The Last Crusade")
von Gottfried Röckelein
Pendo-Verlag, München und Zürich, 2005
342 Seiten, Euro 20,00
ISBN 3-86612-061-3

14. Dezember 2005