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REZENSION/264: Becker, Beez - Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika (SB)


Herausgeber: Felicitas Becker, Jigal Beez


Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907



Kein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung hat sich die Bundeswehr an einem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien beteiligt. Seitdem wurden deutsche Soldaten unter anderem auf den Balkan, an den Hindukusch und auch nach Ostafrika verlegt, wo Kriegsschiffe der Bundesmarine im Rahmen der sogenannten globalen Terrorbekämpfung Patrouille fahren. Mit Maßnahmen wie diesen nähert sich die deutsche Außenpolitik wieder dem über Europa hinausreichenden territorialen Anspruch des deutschen Kaiserreichs an, der 1884 zur Einberufung der Berliner Konferenz und in ihrem Gefolge zur Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den europäischen Kolonialmächten führte.

Das Deutsche Reich galt im Vergleich zu Frankreich und Großbritannien, Portugal und Spanien als Spätzünder, und die deutsche Kolonialzeit endete bereits wieder mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg. Dennoch haben auch deutsche Soldaten in der Zeit ihres kurzen Auftretens in Afrika blutige Spuren hinterlassen, Spuren, die bis heute weder von der heißen Sonne gänzlich ausgetrocknet noch vom tropischen Regen vollständig weggespült wurden. Die Auswirkungen der deutschen Kolonialzeit sind in der Unterentwicklung vor allem des Südostens Tansanias nachzuzeichnen.

Kein afrikanisches Volk hatte sich dem Joch der weißen Eindringlinge freiwillig unterworfen, und die Bereitschaft zur Kooperation afrikanischer Stämme mußte stets durch die Beteiligung weniger an der Ausbeutung vieler erkauft oder auf andere Weise erschlichen werden. Führte beides nicht zum Erfolg, ließen die Weißen die Sprache der Peitsche, des Bajonetts und des Schießpulvers sprechen, um sich die Menschen gefügig zu machen. Darin bildete das Deutsche Reich, das sich in den afrikanischen Staaten Togo, Kamerun, Südwestafrika (heute Namibia) und Ostafrika (heute Tansania, Ruanda, Burundi) festsetzte, keine Ausnahme.

Das vorliegende Buch, "Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch- Ostafrika 1905-1907", handelt von dem Kampf, den ostafrikanische Völker gegen die deutsche Fremdherrschaft führten. Wie die Herero und Nama in Deutsch-Südwest begehrten die Hehe, Ngoni, Ngindo und Pangwa, alles in allem rund 20 Stämme aus der Region des heutigen Tansanias, gegen die selbsternannten Gesandten der vermeintlich überlegenen europäischen Zivilisation auf.

Mit einem Vorwort und siebzehn Kapiteln beleuchten die Herausgeber und weitere sachkundige Autoren bzw. Autorinnen die verschiedensten Facetten dieses Kriegs, angefangen von der vorkolonialen Zeit über die allmähliche Eroberung durch die Deutschen, die bereits in den Anfangsjahren kleinere Aufstände niederschlugen, bis zum eigentlichen Verlauf des Maji-Maji-Kriegs und seinen Folgen. Den Abschluß bildet ein Kapitel über die Schuldfrage und "das deutsch-tansanische Verhältnis 100 Jahre nach dem Maji-Maji-Krieg". Einzelnen Personen wie dem "regierungstreuen Eingeborenen" Mzee bin Ramazani oder dem deutschen Oberleutnant und Kriegsverweigerer Hans Paasche werden eigene Kapitel gewidmet, ebenso wie dem Maji-Maji-Gedicht des Swahili-Dichters Abdul Karim Jamaliddini oder der Bedeutung der weißen Missionare für die Kolonialisierung. Vier Oberkapitel - "Der Weg in den Krieg", "Der Krieg", "Darstellungen des Krieges" und "Die Folgen des Krieges" - geben den teils nur wenige Seiten langen Aufsätzen einen chronologischen Rahmen.

Soweit wichtige ostafrikanische schriftliche Überlieferungen existieren, sind die Autoren auf sie eingegangen, ansonsten dienten ihnen häufig zeitgenössische deutsche Quellen als Grundlage ihrer kritischen Betrachtung. So wurde das Anliegen des 235 Seiten umfassenden Buchs, Licht auf den in der Öffentlichkeit wenig bekannten deutschen Kolonialismus in Ostafrika zu werfen, auf fachkundige und zugleich leicht lesbare Weise erfüllt.

Dabei sparten die Autoren auch die Bedeutung der Missionare nicht aus. Wie schon die Eroberung anderer Kontinente und die regelmäßige Auslöschung der Lebensweisen der ursprünglichen Bevölkerung durch die weißen Eindringlinge gezeigt hat, sind Missionare mit ihren "Waffen" Bibel und Kreuz unverzichtbare Funktionsträger der Unterwerfung. Von welchen Motiven der einzelne Missionar auch getrieben sein mag, die christliche Botschaft in ferne Länder zu tragen, generell hat dieser Berufsstand durch seine Tätigkeit Fronten erobert, die von den Einheimischen meist nicht mal erkannt wurden, und den Kolonialherren Zugriff auf Bereiche der Kultur, Religion und Lebensweise verschafft, wo rohe Waffengewalt nichts ausgerichtet hätte.

Das bedeutet nicht, daß die deutschen Missionare in Ostafrika nicht ebenfalls in die Schußlinie gerieten, als der Maji- Maji-Krieg ausbrach. Im Gegenteil, viele Missionsstationen wurden angegriffen; auch bildeten Missionare und Nonnen fast die Hälfte der allerdings geringen Zahl von 15 europäischen Opfern in dem zweijährigen Krieg. Der Zorn der Stämme richtete sich auch deshalb gegen missionarische Einrichtungen, weil im Verständnis vieler Einheimischer die "Grenze zwischen dem Bekehrungseifer der Missionare und dem Bemühen der Kolonialherren, ihnen die 'Segnungen' der westlichen Kultur näher zu bringen" (S. 101) verschwommen sei, schreibt Hans Joachim Niesel. Das habe nicht zuletzt daran gelegen, daß es "eine Reihe von Missionen" gab, die über "bedeutenden Landbesitz" verfügten.

Die Arbeiter, die auf diesen Besitzungen zum Einsatz kamen, rekrutierte man aus freigekauften Sklaven, die allerdings ihre Dankbarkeit, besonders auf katholischen Missionsbesitzungen, abarbeiten mussten und eher den Status unfreier Arbeiter besaßen. So standen Missionen bei den Einheimischen gelegentlich im Verdacht, selber Sklaven zu halten (S. 42), weiß Reinhard Klein- Arendt zu ergänzen.

Die Angst der Einheimischen, durch die Missionare unter die Kontrolle der Kolonialherren zu geraten, war nicht unbegründet. Die Kolonialverwaltung behandelte die Missionen als Vorposten, von denen aus verschiedene administrative Aufgaben vorgenommen wurden. Außerdem hatten Missionare "so manchen afrikanischen 'Unruhestifter' oder 'Kriminellen' an die Regierungsstation" (S. 101) ausgeliefert. Wie alle Usurpatoren betrachteten auch die deutschen Missionare "die Einheimischen als Untertanen und waren darauf bedacht, entsprechende soziale Distanz zu wahren" (S. 102). Dabei beruhte der "Herrschaftsanspruch" der Missionare "auf zeittypischem Gedankengut von der Minderwertigkeit einheimischer Völker" (S. 102), erläutert Niesel in seinem aufschlußreichen Aufsatz "Für Kreuz und Krone. Die deutschen Missionen im Kriegsgebiet".

Als eine typische Aussage für die damalige Einstellung der Deutschen gegenüber den Einheimischen gibt Niesel die Erklärung eines Berliner Missionars wieder: "Schon als Europäer überhaupt bin ich Volksgenosse derjenigen, welche das Land erobert haben und damit auch Herr." (S. 102) Wie wichtig die Missionare für die koloniale Verwaltung waren, wurde spätestens zu dem Zeitpunkt klar, als einige im Anschluß an den Krieg mit Orden für ihre tapferen Taten ausgezeichnet wurden.

Das Anliegen, ein Buch über den Maji-Maji-Krieg zu schreiben, um "eine möglichst breite Diskussion über das deutsche Verhalten in dieser ehemaligen Kolonie" (S. 13) in Gang zu setzen, zeugt von einer klaren Stellungnahme gegen den Kolonialismus. An einer Stelle stößt der Leser allerdings auf eine - womöglich aus wissenschaftlichem Objektivitätsanspruch geborene - Formulierung, die zum Widerspruch reizt. Da analysiert Reinhard Klein-Arendt in dem Kapitel "Ein Land wird gewaltsam in Besitz genommen. Die Kolonie Deutsch-Ostafrika" auf angemessen differenzierte Weise Faktoren, die zu dem Krieg geführt hatten, kommt aber an einer Stelle zu dem Schluß, daß "das mangelhafte Verwaltungssystem" der Deutschen "den Nährboden für Unzufriedenheit und Widerstand unter den Einheimischen" (S. 36) lieferte.

Bedeutet solch ein Resümee nicht umgekehrt, daß es bei einer durchorganisierten Verwaltung weniger Unzufriedenheit unter den kolonialisierten Völkern gegeben hätte? Und wäre das nicht ein typisches Argument, das auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. unterzeichnet hätte, der am 22. März 1891 verfügte, daß "zur Aufrecherhaltung der öffentlichen Ordnung in Deutsch-Ostafrika (...) eine Schutztruppe verwendet wird" (S. 32)?

Sicherlich, jene anfangs noch unvollständige Kolonialverwaltung trug dazu bei, daß der Versuch des Kaiserreichs, die Okkupation Ostafrikas in klingende Münze umzuwandeln, unter anderem deshalb scheiterte, weil sich einige der weitgehend unbeaufsichtigten Beamten der unteren und mittleren administrativen Ebenen bereichern konnten. Aber an dieser Stelle zwischen privatem und staatlich organisiertem Nutznieß zu unterscheiden, wirkt ein wenig abgehoben, insbesondere vor dem Hintergrund der ansonsten treffenden Beschreibung der überheblichen deutschen Kolonialherren, die sich unermeßlichen Profit von der Überseedependance erhofften. Eine Fehleinschätzung, für die die Völker Ostafrikas bitter bezahlen sollten.

Klein-Arendt schreibt dazu, daß sich für das Deutsche Reich das "koloniale Abenteuer bald als kostspielig" (S. 42) erwiesen habe, weshalb die Kolonialverwaltung dazu überging, Steuern einzutreiben. Dieser Zeitpunkt habe "de facto die Unterwerfung unter den Kolonialstaat" (S. 43) markiert. Die gnadenlose Steuererhebung war der wesentliche Auslöser des Maji-Maji- Kriegs, vor dessen Ausbruch einem deutschen Missionar folgende Klage eines Einheimischen entgegenschlug:

"Der 'Karami' [Steuereintreiber] ist schlimmer als ein Löwe. Der Löwe holt mir ein Huhn, lässt mir aber den 'Ugali' [Brei, das Grundnahrungsmittel], der 'Karami' holt auch noch den 'Ugali' dazu, so dass ich nichts mehr zum Leben habe." (S. 44. Eckige Klammern im Original; einfache Anführungszeichen kennzeichnen Kursiv-Schrift).

Gegen dieses rigorose Vorgehen sei oft Widerstand aufgeflackert, berichtet Klein-Arendt, der mit einem bezeichnenden Detail der kolonialen Unterwerfung aufwartet: Dem Maji-Maji-Krieg von 1905- 1907 waren mehrere bewaffnete Aufstände vorausgegangen, so auch der "Kürbiskrieg" von 1897. Das Volk der Matumbi hatte gegen die plötzliche Besteuerung aufbegehrt und in einem ersten Handgemenge gegen die Steuereintreiber ausgerechnet Kürbisse als Wurfgeschosse eingesetzt. Vergebens, wie man sich denken kann. Zwei Wochen dauerte jener Krieg, 50 Matumbi kamen in ihm ums Leben, dann wurden auch dieses Volk dem Steuersystem unterworfen.

Mit Kürbissen konnten die Matumbi gegen die waffentechnische Überlegenheit der weißen Invasoren genauso wenig ausrichten wie acht Jahre darauf die vermeintliche Wundermedizin Maji, jenes "heilige Wasser", das die Körper vor den Kugeln der Deutschen und ihrer Askari - rekrutierte Hilfstruppen aus Sudan und Mosambik - schützen sollte. Mindestens 100.000, nach Einschätzung des tansanischen Historikers Gilbert Gwassa sogar zwischen 250.000 und 300.000 Ostafrikaner sind bei dem Maji-Maji-Krieg ums Leben gekommen (S. 92).

Wer seine Steuern nicht bezahlen konnte, wurde zur Zwangsarbeit eingezogen. Und obwohl diese in privaten Wirtschaftsbetrieben verboten war, kam sie dort besonders häufig vor, da die Unternehmen "die Arbeitsleistung der Einheimischen" (S. 44) der Kolonialverwaltung kurzerhand abkauften. Mit anderen Worten, die Deutschen haben Sklavenhandel und Sklaverei betrieben. Wenn ein Einheimischer die ihm auferlegte Arbeitsleistung nicht erbrachte, wurde er ausgepeitscht und für sechs Monate ins Gefängnis geworfen.

Zu den zahlreichen Abbildungen und Fotos dieses Buchs, die dem Geschriebenen zusätzliche bedrückende Prägnanz verleihen, zählt besonders das Foto einer Gruppe von Zwangsarbeiterinnen, die mit Ketten aneinander gebunden sind und eiserne Halsringe tragen, zu den eindrücklichsten Zeugnissen des kolonialen Jochs, das jeden Menschen, der noch ein bißchen Stolz in sich trägt, zum Widerstand veranlaßt hätte. Darum sollte bei den Schilderungen der Grausamkeiten, die Eingeborene an Deutschen begingen, nicht vergessen werden, daß die Weißen in Afrika eingedrungen sind und nicht die Afrikaner in Europa.

Neben der Besteuerung und "der eng damit verzahnten Zwangsarbeit" (S. 47) kennzeichnete auch die Landenteignung den Übergang von der angestammten zur kolonialen Wirtschaftsweise. Die Bauern wurden gezwungen, ihre Subsistenzwirtschaft aufzugeben und für den Weltmarkt zu produzieren. Bemerkenswert an dieser Entwicklung: Jene Exportorientierung, die Patrick Krajewski als Moment des Kolonialismus beschreibt (S. 50), wird heute zur "Entwicklungshilfe" verklärt und nimmt in den post-, bzw. neokolonialen Strukturanpassungsprogrammen von IWF und Weltbank einen festen Platz ein.

Jede Form der Relativierung, wonach die Kolonialherren an der einen oder anderen Stelle freundlich zu den afrikanischen Stämmen gewesen seien, indem sie beispielsweise Pockenschutzimpfungen durchführten, oder den "Fortschritt" nach Afrika gebracht hätten, könnte von Revisionisten als Argument benutzt werden, um ihren Rassismus zu begründen und Interventionismus zu rechtfertigen. Wer solch ein Ansinnen auf das vorliegende Buch zu stützen versucht, muß es grundlegend mißverstanden haben. Der "Maji-Maji- Krieg in Deutsch-Ostafrika" läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Aufforderung zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit letztlich dem Zweck dient, einen erneuten Ausbruch deutschen Hegemonialstrebens zu verhindern. Insofern ist das Buch hochaktuell und hätte zu keinem passenderen Zeitpunkt erscheinen können.

30. Mai 2005


Herausgeber: Felicitas Becker, Jigal Beez
Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907
Ch.Links-Verlag, Berlin, April 2005
ISBN 3-86153-358-8