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REZENSION/241: H. v. Senger - 36 Strategeme für Manager (Lebenshilfe) (SB)


Harro von Senger


36 Strategeme für Manager



In die Kette praktischer Ratgeber, die das Leben des Europäers mit Weisheiten aus dem fernöstlichen Kulturkreis zu bereichern beanspruchen - und die wohl wegen der Übereinstimmung mit den Dingen, die man sowieso schon weiß und der daraus resultierenden Eingängigkeit bei gleichzeitigem Exotenbonus gern gelesen und noch lieber verschenkt werden -, reiht sich neu ein weiteres Werk von Harro von Senger, dem laut FAZ "führenden westlichen Forscher auf dem Gebiet der Strategemkunde". Er dürfte der einzige sein.

In "36 Strategeme für Manager" (einem Ableger der beiden früher erschienenen Hauptwerke "Strategeme Band 1 und 2" zum gleichen Thema) widmet sich der Autor einer Tugend, die in China durchaus alltagsgebräuchlich, im Westen aber "ein Buch mit sieben Siegeln" (Klappentext) sei, der LIST. Auf gut 200 Seiten bietet von Senger anekdotenreich einen nach eigener Einschätzung "noch nie dagewesenen Gesamtüberblick" (S. 32) über diese chinesische "Geheimressource", über die im Westen "bisher nie systematisch aufgeklärt" wurde und die "daher nie umfassend genutzt werden konnte" (S. 1).

Was in der Sprache fehlt, fehlt auch im Denken. In Ermangelung einer geeigneten Listterminologie kann ein Europäer gar nicht rational über List nachdenken und darüber kompetent kommunizieren. (S. 29)

Das Erkennen und Anwenden von Listen gehöre in China zum (geschäftlichen) Alltag und nur wer diese Kunst beherrsche, könne erfolgreich sein. Das aber sei auch vor dem Hintergrund sich sprunghaft entwickelnder Wirtschaftsbeziehungen mit China gerade für westliche Manager von entscheidender Wichtigkeit. Denn während im Westen die List zwar bekannt, immer aber die letzte Wahl in einer aussichtslosen Situation und somit ein minderwertiges Mittel sei, habe dieser Begriff bei den Chinesen eine wertneutrale oder sogar positive Konnotation. Chinesen sind "listsensibler".

Im Chinesischen habe 'List' oder 'Strategem', ein Begriff, den der Autor wegen seiner größeren Wertneutralität vorzieht, daher nicht von ungefähr das gleiche Schriftzeichen wie 'Weisheit'.

"Kein Wunder, daß das zentrale chinesische Schriftzeichen für "Weisheit", "Klugheit", das unter anderem eine konfuzianische Kardinaltugend bezeichnet, nämlich ZHI, gleichzeitig auch "Strategem" bedeutet. Strategemkundigkeit erscheint also als Zeichen der Klugheit." (S. 17)

Der interessierte Leser, der sich an dieser Stelle eine Begründung und genauere Erklärung und Erläuterung dieses für von Senger offensichtlich zentralen und als Kalligrafie auch den Titel seines Büchleins zierenden Schriftzeichens gewünscht hätte, wird enttäuscht. Ein diesbezüglicher forschender Blick in das umfänglichere Grundlagenwerk des Autors fördert Überraschendes zutage: Dort wird nämlich, als chinesische Entsprechung des Begriffes 'Strategem', ein anderes Schriftzeichen erläutert, das für JI. Dies setze sich zusammen aus den beiden Teilen 'zählen' und 'zehn', bedeute also:

"Bis auf zehn zählen bzw. allgemein gesagt: zählen, rechnen, berechnen, und als Substantiv: Berechnung, Kalkül, Plan. Freilich können chinesische Schriftzeichen je nach Zusammenhang in unterschiedlicher Bedeutung auftreten, so auch das Wort JI ... Hier interessiert jedoch die in bestimmten Textzusammenhängen auftretende Doppelbedeutung: 1. Kriegslist und 2. List, Trick im politischen und auch im privaten Leben. Diesen doppelten Bedeutungsgehalt besitzt in westlichen Sprachen am ehesten der Ausdruck <Strategem>, bisweilen auch <Stratagem>." (Harro von Senger, Strategeme 1, Bern, München, Wien 2000, (S. 20)

Selbst wenn man dem Deutungssprung von 'zehn zählen' zu 'List' oder 'Strategem' folgt, auch wenn dieser bereits interpretiert erscheint, so ergibt sich aus den eigenen Ausführungen des Verfassers, daß die Zeichen für 'List' oder 'Strategem' (JI) und für 'Wissen', 'Weisheit' oder 'Klugheit', nämlich ZHI, nicht identisch sind.

Mit dieser falschen Gleichsetzung von JI und ZHI mag der Autor in seinem eigenen Werk ein Beispiel von Publikumstäuschung in die Praxis umgesetzt oder schlimmer noch seine Unsicherheit bzw. Inkompetenz in der Deutung chinesischer Schriftzeichen offengelegt haben. Sicherlich würde Herr Professor von Senger bei jedem anderen, der sich einen derart eklatanten Fehler erlaubt hätte, mindestens von einer Selbstüberlistung sprechen, die ihr entsprechendes Licht vielleicht auf die Fähigkeit und Kompetenz, mit der Materie umzugehen, werfen würde.

Das ganze Buch also bloß eine Mogelpackung?

Dabei hätten die Ausführungen über "kluges Planen und geschicktes Reagieren in alltäglichen und nicht alltäglichen Situationen " wie es im Untertitel von 'Strategeme 1' heißt, inhaltlich auch ohne den Rückgriff auf angebliches chinesisches Geheimwissen auskommen können, das, so von Senger selbst, eigentlich nichts anderes ist als eine durchaus öffentliche Ansammlung von Volksweisheiten:

"Bis vor wenigen Jahren war der Katalog der 36 Strategeme, als Ganzes gesehen, in China eine Art Geheimwissen geblieben. Dies schloß aber nicht aus, daß den Chinesen die einzelnen im Katalog der Strategeme vorkommenden Redewendungen in der Mehrzahl von Kindesbeinen an vertraut waren. Die große Popularität der Strategeme ist vor allem auf die chinesische Volksliteratur zurückzuführen." (Harro von Senger, Strategeme 1, S. 25)

Geheim war diese sogenannte chinesische Kunst lange Zeit lediglich, weil sie im Westen nicht veröffentlicht war, und das Besondere mag sich auf den Versuch des Autors einer fragwürdigen Wiedergabe der Quellkategorien und Ordnung seiner spezifischen Lektüre einschränken lassen.

"Abendländer sind offensichtlich nicht fähig, hinter tausendfältigen konkreten Listvorgängen die immer gleichen, wenigen Listtechniken zu erkennen und zu benennen. Jeder Listvorgang ist für sie ein ganz neues Aha-Erlebnis, das sie höchst schemenhaft als "List", "Trick" oder "Kniff" identifizieren können; sie können aber die dahinterstehende, abstrakte Listtechnik nicht in Worte fassen. ... Die 36 STRATEGEME, die Chinesen im Kopf haben, stehen eine Abstraktionsstufe höher als die vielen konkreten listigen Einzelepisoden, bei denen Europäer steckengeblieben sind." (Harro von Senger, Die Kunst der List, München 2001, S. 19)

Die "Einführung in die chinesische Strategemkunde speziell für Manager" (S. 2), beginnt mit einer Auflistung der 36 Strategeme oder Listen, die dem "Geheimen Buch der Kriegskunst - Sanshiliu Ji (Miben Bingfa) aus der Zeit um 1500 u.Z." (S. 3) entstammen sollen, darunter so illustre wie "Die Zikade entschlüpft ihrer goldglänzenden Hülle" (Nr. 21), "Den Pflaumenbaum anstelle des Pfirsichbaums verdorren lassen" (Nr.11) oder "Für die Rückkehr der Seele einen Leichnam ausleihen" (Nr. 14) und so einfältige wie "Eine Feuersbrunst für einen Raub ausnützen" (Nr. 5), "Im Osten lärmen, im Westen angreifen" (Nr. 6), "Will man etwas fangen, muß man es zunächst loslassen" (Nr. 16) oder "Die Türe schließen und den Dieb fangen" (Nr. 22).

Es folgt eine schematische Darstellung dessen, was List im Unterschied zu einer üblichen Herangehensweise kennzeichnet. Statt einer geraden Strecke zum Ziel verläuft der Weg von A nach Z in Wellen. List wäre demnach zunächst nichts weiter als ein Umweg.

Unzulässig analogisiert werden die Ausführungen durch eine Fülle von Beispielen und Geschichten, die die einzelnen Strategeme illustrieren und veranschaulichen sollen, sowie lose aneinandergereihter Rezepte und Ratschläge so, als trügen die aus dem Chinesischen entlehnten Weisheiten für sich nicht weit genug (oder vermöchten kein Buch zu füllen). Dazu ein Beispiel zum Strategem Nr. 12: "Mit leichter Hand das (einem unerwartet über den Weg laufende) Schaf (geistesgegenwärtig) wegführen":

"Man sollte wissen, "dass die Geschichte manchmal, durch einen Zufall, einen einzigartigen Spalt in die Zukunft öffnet" (Voltaire), durch den man sich hindurchzwängen kann bzw. muss. Als Politiker den Mantel der Geschichte ergreifen! Durch aktives Zuhören Ansatzpunkte für die Durchsetzung eigener Ziele bei Verhandlungen hellwach schnellstmöglich erkennen und geistesgegenwärtig ausnutzen! Jede Minute als niemals wiederkehrend einschätzen, im Hier und Jetzt leben nach der Losung: "Wie lange ich lebe, liegt nicht in meiner Macht, dass ich aber, solange ich lebe, wirklich lebe, das hängt von mir ab!" Die Folgerungen daraus ziehen, dass eine Sekunde alle Träume, Ziele, Visionen zerstören, aber auch eine glückliche Wendung ermöglichen kann! Gespür für das Maß des Augenblicks entwickeln! Merken, wenn man einmal im Leben im richtigen Moment an der richtigen Stelle ist und vielleicht noch den richtigen Menschen trifft! Eine gute Idee nicht nur haben, sondern auch durchsetzen! Kaltblütig die richtige Gelegenheit für einschneidende, schmerzliche Maßnahmen ergreifen! Gegebenenfalls jemandem die Show stehlen! Wach bleiben und den Wert von Situationen erkennen! Den Wandel nicht verschlafen! Die Nase vorn haben beim Aufspüren Gewinn bringender Trends, neue Entwicklungen erschnuppern und schnell in marktfähige Leistungen oder Produkte umsetzen! Spielräume nutzen! Ständig nach Marktlücken und Nischen suchen und sie ausnützen! Versäumnisse von Konkurrenten sowie Wissensvorsprünge ausnutzen! Selbst den kleinsten, kaum erwähnenswerten Vorteil nicht gering schätzen! In unscheinbar wirkenden Augenblicken kann der Keim zu Großem - im Guten wie im Bösen - angelegt sein! Einen Zukunftskeim gilt es kaltblütig zu erfassen und entweder zu nutzen oder, falls er in üble Richtung weist, zu ersticken! Und nicht vergessen: Was man erreicht hat, genießen!" (S. 117f.)

Zu jedem der 36 Strategeme (Listenarten), die ihrerseits wieder 6 Kategorien zugeordnet sind (Verschleierungs-Strategeme, Vorspiegelungs-Strategeme, Enthüllungs-Strategeme, Ausmünzungs- Strategeme, Strategemverkettung, Flucht-Strategeme), wird das zugehörige Schriftzeichen übersetzt, erläutert, sein Anwendungsbereich bzw. seine Reichweite umrissen sowie auf Risiken und mögliche Abwehrtechniken verwiesen, sollte man selbst Objekt dieser angewandten List werden.

Den chinesischen Weisheiten werden zur Erklärung deutsche Sprichworte und Redensarten vergleichbaren Inhaltes zur Seite gestellt, wie etwa "auf den Busch klopfen" zu "auf das Gras schlagen, um die Schlangen aufzuscheuchen (Strategem Nr. 13 ) oder "aus einer Mücke einen Elefanten machen" zu Strategem Nr. 7: "Aus einem Nichts etwas erzeugen" oder "Kleider machen Leute" zum Strategem Nr. 29 "Einen dürren Baum mit (künstlichen) Blumen schmücken". Was im Untertitel des Hauptwerkes `Strategeme` als "lange gehütetes Geheimwissen" vorgestellt wird, erweist sich schnell als eine Sammlung volkstümlicher Redensarten, die so oder ähnlich und durchaus vergleichbar wohl in jeder Kultur vorkommen.

Daß es sich bei der List eben nicht um eine chinesische Spezialität handelt, führt der Autor selbst vor, indem er seine Ausführungen mit zahlreichen Verweisen auf listenreiche Episoden aus dem westlichen Kulturkreis spickt. Das tapfere Schneiderlein findet ebenso Erwähnung (S. 49) wie Hegel als Schöpfer der "List der Vernunft" (S. 62), Heideggers "Entschlossenheit zum Augenblick" (S. 116), der brave Soldat Schweijk (S. 77) als Beispiel für eine gelungene Anwendung des Strategems Nr. 27 "Verrücktheit mimen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren" (S. 76 ff), die Griechen, die Rothschilds, Heine und selbst Jesus, der als Anwender des Strategems Nr. 26 "Die Akazie schelten, dabei aber auf den Maulbeerbaum schielen" zitiert wird (S. 104) und als Protagonist der Listenwachheit (S. 12 f) nicht fehlen darf. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

So gesehen erscheint es dann - sieht man von dem Anspruch auf eine wissenschaftlich saubere Arbeitsweise einmal ab, die man von einem Professor der Sinologie allerdings erwarten dürfte - fast unerheblich, ob die einzelnen Zeichen richtig übersetzt oder auch hier frei assoziiert wurde, spielen sie doch für die jeweils weiteren Ausführungen so gut wie gar keine Rolle mehr.

Strategemkundigkeit als ein "auf Schläue basierendes rational strukturiertes problemlösungsorientiertes "Routineabweichungsvermögen" (S. 14) oder lt. Duden "eine schlaue, außergewöhnliche, verblüffende Problemlösung, bei der manchmal - aber keineswegs immer - Täuschung eingesetzt wird", ist also kein kulturspezifisches Talent. Am Beispiel eines deutsch-chinesischen Handelstreffens, bei dem sich beide Delegationen gegenseitig überlisteten, weist der Verfasser einerseits darauf hin:

Daß hier die deutsche Seite ebenfalls - und zwar gekonnt - strategemisch handelte, und zwar im Rahmen einer defensiven Reaktion, belegt nur die These, daß listiges Verhalten universal ist. (S. 101),

und behauptet andererseits mit Blick auf denselben Sachverhalt:

"Ich bezweifle allerdings, daß die Deutschen erkannten, welches Strategem sie mit welchem Strategem beantworteten." (S. 101f.)

Was denn nun, müßte er sich fragen lassen!

Da fernöstliche Spruchweisheiten erfahrungsgemäß und in Umkehrung einer biblischen Redensart gut geeignet sind, Allgemeinplätze wie vergorenen Wein in neuen Schläuchen gewinnträchtig an ein Publikum zu bringen, könnte man, wollte man sich auf die Theorie von den Strategemen so weit einlassen, dem Verfasser unterm Strich die allerdings zum Scheitern verurteilte Anwendung des 7. Strategems attestieren, nämlich den Versuch: "Aus dem Nichts etwas erzeugen"!

Die Wirksamkeit seiner Strategeme schätzt v. Senger selbst allerdings auch als sehr begrenzt ein: "Bei einem brutalen Opponenten, der sich nicht um den Finger wickeln läßt, wird dieses Strategem verpuffen." (S. 59, zum Strategem Nr. 10: "Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen") oder: "Der "Weg", den man sich "ausleiht", kann sich als Holzweg erweisen." (S. 64, zu dem Risiko des Strategems Nr. 24: "Einen Weg für einen Angriff gegen Guo ausleihen") und "Das Strategem steht und fällt also mit der Leichtgläubigkeit oder dem Informationsstand des Opponenten." (S. 89) "Ehrliche Leistung", schlußfolgert der Autor, "ist allemal der bessere Weg zum Erfolg als das Anschwärzen des Rivalen" (S. 75) und "Da ist es doch besser, unlistig der Wirklichkeit in die Augen zu schauen, jedermann reinen Wein einzuschenken, die Ärmel hochzukrempeln und beherzt das System zu reformieren." (S. 85)

Den Rat, den der Autor als Schutz vor dem Strategem Nr. 6 "Im Osten lärmen, im Westen angreifen" erteilt, möchte man ihm nach der Lektüre gern selber geben: "Man sollte immer die wesentlichen Dinge im Blick behalten und sich nicht von Nebensächlichkeiten abhalten lassen." (S. 54) Denn am Ende haben zumindest seine Bemühungen keinen Lärm oder Aufstand im Osten erzeugt noch ließe sich daraus ein Angriff im Westen entwickeln.


Harro von Senger
36 Strategeme für Manager
Hanser Verlag, München, Wien 2004
gebunden, 222 Seiten
ISBN 3-446-22844-6