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REZENSION/203: Kevin Phillips - Die amerikanische Geldaristokratie (SB)


Kevin Phillips


Die amerikanische Geldaristokratie

Eine politische Geschichte des Reichtums in den USA



Vom Tellerwäscher zum Millionär - mit dieser Formel läßt sich das Versprechen des amerikanischen Traums auf einen Nenner bringen. In seinem 2002 erschienenen, weltweiten Bestseller "Stupid White Men" hat der linke Dokumentarfilmemacher und Berufsprovokateur Michael Moore gerade diesen Traum seiner amerikanischen Mitbürger als Irrglauben verurteilt, der sie - weil jeder in den USA heimlich die Hoffnung hege, irgendwann einmal doch noch Millionär zu werden - daran hindere, für eine gerechtere Sozialgesetzgebung und Steuerpolitik einzutreten. Konservative Kritiker werfen Moore vor, er nehme es in seinen Büchern und Filmen mit den Fakten nicht so genau und neige zu billigen und schamlos populistischen Übertreibungen. Daß der Oscar-Preisträger Moore mit seiner Einschätzung des illusionären Gehalts des amerikanischen Erfolgsversprechens keineswegs falsch liegt, sondern im Gegenteil vollkommen recht hat, belegt Kevin Phillips in seinem höchst aufschlußreichen Buch "Die amerikanische Geldaristokratie - Eine politische Geschichte des Reichtums in den USA".

Phillips, der als Politberater dem Republikaner Richard Nixon zum zweifachen Sieg bei den US-Präsidentschaftswahlen verhalf, gehört seit nunmehr fast 40 Jahren zu den schärfsten konservativen Analytikern gesellschaftlicher Entwicklungen in den USA. Mit seinem 1969 erschienenen Buch "The Emerging Republican Majority" hat Phillips die politische Landschaft Amerikas grundlegend verändert, indem er den Republikanern aufzeigte, wie sie durch die Bedienung der Ressentiments breiter Teile der weißen Mittel- und Untermittelschicht vornehmlich im Süden und im Westen der USA gegen die liberale Ostküstenelite, aufmüpfige Studenten sowie Gleichberechtigung fordernde Schwarze und Latinos den Demokraten einen entscheidenden Teil ihrer traditionellen Wählerschaft abspenstig machen könnten. Hatte beginnend mit der Ära des Demokraten Franklin D. Roosevelts fast vierzig Jahre lang die Politik des sozialen Ausgleichs in den USA vorgeherrscht, so bildet die "Sun Belt"-Strategie von Kevin Phillips den Grundstein der republikanischen Dominanz in Washington, wie sie dort seit den Tagen Nixons zu beobachten ist.

Inzwischen scheint Phillips den eigenen Anteil an dieser Entwicklung zu bereuen. Als er sich gleichzeitig mit der Veröffentlichung der "amerikanischen Geldaristokratie" in den USA Anfang Oktober 2002 in der Erstausgabe der auf Initiative des ehemaligen Nixon- Redenschreibers Patrick J. Buchanan ins Leben gerufenen Wochenzeitschrift "The American Conservative" unter der Überschrift "Why I Am No Longer a Conservative" von der Politik der Phalanx Reagan-Bush sen.-Gingrich-Bush jun. lossagte und den US-Republikanern vorwarf, mit Sozialkürzungen für die Armen und Steuerleichterungen für die Reichen dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten eine "Wiederauferstehung der Plutokratie" zu bescheren, löste dies eine heftige Diskussion aus, die bis heute nicht abgeklungen ist. Anhand der nun auf deutsch vorliegenden, detaillierten Studie der "politischen Geschichte des Reichtums in den USA" lassen sich die Gründe für Phillips' paulinische Wandlung nachvollziehen.

Ähnlich wie sein "paläokonservativer" Streitgefährte Buchanan die Aufgabe der alten amerikanischen Republik zugunsten der imperialistischen Weltherrschaft Washingtons beklagt, rechnet Phillips schonungslos mit dem Umbau der USA von einem Land mit der wohlhabendsten Mittelschicht der Erde hin zu dem mit der weltweit "größten Kluft zwischen Arm und Reich" ab. In seiner dreihundert Jahre umfassenden Darstellung der Entstehung des US-Geld- und Industrieadels greift Phillips zunächst ausdrücklich auf Gustavus Myers' berühmte, 1907 zunächst in Berlin erschienene "Geschichte der großen amerikanischen Vermögen" zurück, um dessen Werk sozusagen bis in die Gegenwart fortzusetzen. Wer sich bislang nicht mit den wirtschaftlichen Hintergründen des amerikanischen Bürgerkrieges, der Eroberung des Westens und den damit zusammenhängenden, farbenprächtigen Karrieren der sogenannten "Räuberbarone" des 19. Jahrhunderts in den USA - John Jacob Astor, Andrew Carnegie, John D. Rockefeller, J. P. Morgan, Cornelius Vanderbildt usw. -, befassen konnte, kommt hier voll auf seine Kosten.

Phillips verweist auf zwei extrem wichtige, dafür um so häufiger verleugnete Aspekte der großen amerikanischen Vermögen: Erstens, daß sie in der Regel durch staatliche Förderung, das heißt durch gute Kontakte zum Kongreß oder zum Weißen Haus, zustande gekommen sind; zweitens, daß sie sich als sehr haltbar erwiesen haben. Markante Beispiele der staatlichen Förderung der angeblich "freien" Wirtschaft in den USA stellen die großen Landschenkungen an die Eisenbahngesellschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Aufstieg des Chemieriesen und Sprengstoffherstellers Du Pont während des Ersten Weltkriegs, über Jahrzehnte die gigantischen Rüstungsaufträge des Pentagons an den Flugzeughersteller Boeing und die faktische Übereignung der öffentlichen Radio- und Fernsehfrequenzen an einige wenige große Medienkonzerne wie ABC, CBS und NBC dar. Dank der Einrichtung von Stiftungen sind die Vermögen etwa der Rockefeller-, der Ford- wie auch der Carnegie-Familie bis heute erhalten geblieben. Die von der "Erbaristokratie" Amerikas unterstützten Denkfabriken - wie das alteingesessene, von den Rockefellers gegründete Council on Foreign Relations (CFR) in New York oder das der Regierung von George W. Bush nahestehende, neokonservative American Enterprise Institute (AEI) in Washington - üben heute eine enorme Wirkung auf die Gesetzgebung des Kongresses wie auch auf die innen- und außenpolitischen Handlungen der US- Regierung aus.

Nach Meinung von Kevin Phillips erweist sich der unter anderem mit Wahlkampfspenden gesicherte Einfluß der Konzerne und der Reichen auf die politische Willensbildung in Washington als immer schädlicher für die USA. Unter dem Banner der Globalisierung verlagern die transnationalen Unternehmen ihre Produktionsstätten in Drittweltländer und ihre nominellen Firmensitze in karibische Bankenparadiese, um Löhne und Steuern zu sparen. Dadurch werden die Reichen in den USA immer wohlhabender, während die Mittelschicht schrumpft, Produktionsstätten verlorengehen und das US-Militär immer mehr zum privaten Sicherheitsdienst der Wall Street mutiert. Phillips kritisiert die zunehmende "Finanzialisierung" der USA, welche das Land wirtschaftlich aussaugt und zur Supermacht auf tönernen Füßen macht. Recht eindrücklich vergleicht Phillips die heutige Lage Amerikas mit der Großbritanniens, der Niederlande und Spaniens vor deren jeweiligem Niedergang als führende Wirtschaftsnation.

Anhand von Statistiken demonstriert Phillips die engen Parallelen der Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich einerseits und der nachlassenden Wahlbeteiligung der einfachen Bevölkerung in den USA andererseits. Für Phillips ist Demokratie im Sinne der gleichwertigen Stimme eines jeden Bürgers nicht mehr gegeben, wenn die politische Arena zum Meinungsmarktplatz der Meistbietenden verkommt. Darauf, daß wir auch in Deutschland infolge der Schröderschen Reformagenda ähnlich desaströse politische und soziale Verhältnisse wie in den USA erleben werden, ist das Boykottverhalten großer Teile der sozialdemokratischen Wählerschaft bei der jüngsten Wahl zum Europaparlament ein eindeutiger Beweis.

Auch mit Blick auf die EU stellt Phillips in den westlichen Industrieländern insgesamt ein zunehmendes Demokratiedefizit und eine gesellschaftliche Polarisierung, gepaart mit einer "Machtverschiebung zugunsten einer technokratischen Elite", fest. Immer mehr Entscheidungen würden von Richtern und Behörden, statt von Politikern, gefällt. Das bisher beste Beispiel dieser "Judizialisierung", wie Phillips sie nennt, ist die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom November 2000, den republikanischen Wahlverlierer George W. Bush zum Präsidenten zu küren. Angesichts des von Phillips diagnostizierten Niedergangs der USA rät dieser zu einer Politik der nationalen Autarkie und der Bescheidenheit auf der internationalen Bühne. Wie wir jedoch dieser Tage erleben, macht die Bush-Regierung genau das Gegenteil und verheddert sich statt dessen in militärischen Abenteuern in Übersee.

In seinem Buch vergleicht Phillips das Amerika George W. Bushs mit dem British Empire zu Zeiten des Burenkrieges. Ähnlich wie jener überflüssige Konflikt mit den südafrikanischen Voortrekkern, der den Untergang Großbritanniens als Weltmacht einleiten sollte, hätte laut Phillips der sogenannte "Antiterrorkrieg" Washingtons durchaus die "Statur", die Ökonomie der Vereinigten Staaten zu ruinieren. Bekanntlich haben Bush, Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 von einem Krieg gegen bis zu 60 Länder, der Jahrzehnte dauern könnte, gesprochen. Laut Phillips ist es jedoch gerade der Krieg, welcher die Weltreiche vergangener Tage von den notwendigen sozialen und wirtschaftlichen Erneuerungen abgelenkt und den Untergang schließlich besiegelt hat. In der Regel mündete dieser in einen größeren militärischen Konflikt zwischen der absteigenden Großmacht und einem aufstrebenden Rivalen. Waren das im 20. Jahrhundert Großbritannien und Deutschland, so steht der Welt möglicherweise eine epochale Auseinandersetzung zwischen den USA und China bevor. Vor diesem Hintergrund ermöglicht das Buch von Kevin Phillips einen nüchternen Blick auf das, was uns in nicht allzuferner Zukunft bevorstehen könnte.

15. Juni 2004


Kevin Phillips
Die amerikanische Geldaristokratie
Eine politische Geschichte des Reichtums in den USA
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn
Originaltitel: "Wealth and Democracy -
A Political History of the American Rich"
Frankurter Beiträge zu Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Bd. 9.
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2003
476 Seiten, 29,90 Euro
ISBN 3-593-37312-2