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REZENSION/128: Viren, Würmer und Trojanische Pferde (Computer) (SB)


Andreas Winterer


Viren, Würmer und Trojanische Pferde



Das zweite technische Sachbuch des SF- und Satire-Autors Andreas Winterer liegt seit kurzem in einer Paperback-Ausgabe des DATA-Becker- Verlages in der Reihe PC-Underground vor.

Das äußere Erscheinungsbild dieses Buches vermittelt nicht den Eindruck, ein seriöses, sachbezogenes Werk in den Händen zu halten. Im Gegenteil, die schon fast abstoßend zu nennende Aufmachung dürfte viele sogar abschrecken, einen Blick auf den Inhalt zu werfen. Angesichts der ernsten Thematik, es geht um nichts geringeres als um die Sicherheit des persönlichen Computers, also eines Geräts, das heute in keinem modernen Haushalt mehr fehlt, ist diese Darstellung schon verwunderlich.

Der Umschlag ist dunkel gehalten. Auf ihm prangt ein grünes Emblem, welches vermutlich einen Virus darstellen soll. Der Titel, welcher in fetten roten Buchstaben gedruckt wurde, läßt keinen Zweifel zu, um was es in diesem Buch geht: "Viren, Würmer & Trojanische Pferde". Der Untertitel wird ebenfalls in Bildzeitungsmanier gehalten und verkündet: "Enthüllt: Waffen & Machenschaften der Cyber-Terroristen."

Auf der Rückseite wird dieser Stil fortgesetzt mit Termini wie: "Ungeziefer: So verwüsten Wurm-Epidemien das WWW", "Web-Zwielicht: Rotlicht-Milieu", "Hacker-Treffs im WWW" oder "Zerstörerische Brut: So entstehen und funktionieren Viren & CO".

Dieses Schlagwort-Bombardement ist Anlaß genug, ein zweites Mal auf den Namenszug des Autors zu blicken, um sicherzustellen, daß es sich hier tatsächlich um den renomierten SF-Autor Andreas Winterer handelt. Auf Seite zwei enthüllt uns der Autor dann jedoch in einer nicht weniger reißerischen Art den Grund für diese Entgleisung:

Bei alledem (die Gefahr durch Viren ...) ist mir auch die Lust am Lesen wichtig. Sie haben ein Recht darauf, trockene technische Fakten spannend erzählt zu bekommen. (Seite 14)

Aus welchen Beweggründen der Autor, der ja immerhin so bekannte SF-Werke wie den "COSMO POLLITE" geschrieben hat, jetzt plötzlich Bildzeitungsüberschriften mit Spannung verwechselt, bleibt bis auf weiteres ein Rätsel. Dabei hat er das gar nicht nötig, denn schon nach einigen Seiten wandelt sich sein Stil und Andreas Winterer beschreibt flüssig und mit einigem Witz ein Phänomen, in dessen Natur es liegt, daß die Spannung gar nicht abhanden kommen kann.

Für denjenigen, der sich über jene Viren, Würmer und Trojanische Pferde informieren will, die schon so viele PC-Besitzer mit aschfahlem Gesicht vor dem PC zurückgelassen haben, läßt dieses Werk keine Wünsche offen. Das Buch beginnt mit einer durchaus kritischen Bestandsaufnahme unter Verwendung der aktuellsten Statistiken. Dabei wird mit den kriminellen Hackern und Virenprogrammierern genauso hart ins Gericht gegangen wie mit der milliardenschweren Antivirenindustrie, die ja bekanntlich regelmäßig durch aufsehenerregende Virenmeldungen auf sich aufmerksam macht. Natürlich haben diese Viren immer so einprägsame Namen wie "I Love You", "Melissa" oder "Michelangelo". Und jede dieser Meldungen kurbelt das Geschäft mit der leider berechtigten Angst kräftig an.

Schon im nächsten Kapitel über die "Virengeschichte" stellt der Autor unter Beweis, daß er bei seinen Recherchen keine Mühen gescheut hat. Andreas Winterers Geschichtsschreibung beginnt deshalb auch zu einer Zeit, als Computer für viele noch reine Fiktion waren.

Die Idee, daß sich Computerprogramme durch sich selbst fortpflanzen, stammt von dem in die USA emigrierten ungarischen Computerwissenschaftler János Baron von Neumann (1903 - 1957), der eine Maschine konstruieren wollte, die sich selbst bauen kann. Er legte mit seinem Konzept, Programme und Daten in einen gemeinsamen Speicher zu packen, die Basis für die Konstruktion der heutigen Prozessoren, wie sie von INTEL oder AMD gebaut werden. Aber damit war auch der Keim gelegt für die Konstruktion von Viren, die ja nichts anderes machen als Programme (Software), "die sich selbst und andere wie Daten behandeln, verarbeiten, verändern und infizieren" (reproduzieren). Dies mag weit vorgegriffen sein, aber das Konzept bildete den Ausgangspunkt.

Der nächste Schritt zum Computervirus wurde 1962 in den Bell Labs vollzogen. Die dortigen Wissenschaftler entwickelten ein Spiel, bei dem es darum ging, daß zwei Programme sich gegenseitig Rechenzeit entziehen. Die Idee von Virus und Antivirus war geboren, auch wenn das Wort Virus zu dieser Zeit noch keine Verwendung fand. Dann ging es Schlag auf Schlag: Anfang der Siebziger wurde ein Wurm namens Creeper entwickelt, der sich über ein Modem selbständig einwählen konnte, seinen Code übertrug und sich selbst klonte, um sich dann selbst zu löschen. 1980 erschien in Deutschland eine theoretische Arbeit von Jürgen Kraus über Programme, die sich selbst vermehren. Die UNI- Dortmund sorgte dafür, daß die Arbeit von Kraus schnell im Archiv verschwand.

Kurze Zeit später wurde in den Labors des Computerpioniers Xerox in Palo Alto ein Experiment mit Computerwürmern durchgeführt, um ihre nützlichen Funktionen bezüglich ihrer Ausbreitung zu testen. Der Wurm sollte freie Rechenzeiten von vernetzten Computern finden und nutzen, heute ein gängiges Verfahren von Wissenschaftlern. Leider wurde der Wurm bei einer fehlerhaften Datenübertragung verstümmelt. Er mutierte und brachte etliche Großrechneranlagen zum Absturz.

Weil seine Arbeit in den Archiven verschwand, gilt heute nicht Jürgen Kraus als Vater der Computerviren, sondern ein Mann Namens Fred Cohen. Dieser hatte den Begriff "Computervirus" 1983 von seinem Professor Len Adleman, der ihn in ihrem Gespräch gebrauchte, übernommen. Cohen schrieb, angeregt von Adlemans Ideen, eine Arbeit mit dem Namen "Computer Virus - Theory and Experiments". Cohen zog in seiner Arbeit die noch heute geltenden Schlüsse:

- Auf jedem Computersystem ist es möglich, so etwas wie einen Virus

zu schreiben. - Kein Programm ist in der Lage, eine Datei zu untersuchen und mit hundertprozentiger Sicherheit zu entscheiden, ob sie einen Virus enthält.

Es sollten noch weitere vier Jahre vergehen, bis der Virenboom tatsächlich beginnt. Wieder setzte eine Universität den Startschuß. In der Lehigh-Universität in den USA tauchte ein Virus auf, der die DOS-Datei command.com infizierte. Danach schien jeder ambitionierte Computerprogrammierer, der Langeweile hatte, sich berufen zu fühlen, auch einmal einen Virus zu schreiben.

Nach dieser spannend erzählten Hintergrund-Geschichte geht Andreas Winterer in den folgenden Kapiteln auf die verschiedenen Arten von Computerviren näher ein, ohne daß dem Laien dabei langweilig wird. Selbst der Experte findet immer wieder Informationen, Tips und Hinweise, die ihm bis dato nicht bekannt waren. Selbstverständlich kommt auch die Sicherheit des Computers nicht zu kurz. Ausführlich geht der Autor auf die verschiedenen Antivirenprogramme ein, beschreibt deren Vor- und Nachteile und gibt wichtige Tips zur Konfiguration. Aber auch die Firewalls, die zum Schutz gegen Hacker dienen (Paßwort- und Datenklau, 0190 Nummern), nimmt der Autor in einer verständlichen Form ohne viel Fachchinesisch genau unter die Lupe. Das ganze wird abgerundet durch ein ausführliches Stichwortverzeichnis.

Lassen sie sich also nicht abschrecken durch die mißglückte Umschlaggestaltung, denn das Buch ist ein "Must read" für jeden, der sich regelmäßig im Internet aufhält und dabei auf ein mulmiges Gefühl gut verzichten kann. Auch wenn es einen hundertprozentigen Schutz niemals geben wird, basiert der Erfolg von Hackern und Virenprogrammierern hauptsächlich auf der Unwissenheit der Computerbenutzer. "Viren, Würmer & Trojanische Pferde" kann dazu beitragen, daß dem einen oder anderen PC-Besitzer einige unliebsame Überraschungen erspart bleiben.


Andreas Winterer
Viren, Würmer und Trojanische Pferde
In der Reihe PC Underground
DATA BECKER, 2002 Düsseldorf
14,95 Euro
ISBN 3-8158-2265-3