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REZENSION/052: Ruhland - Diabetes · Ein umfassender Ratgeber (Medizin) (SB)


Dr. med. Bernd Ruhland


Diabetes

Ein umfassender Ratgeber



Dieses Buch, das im Wort & Bild Verlag erschienen ist, wurde in erster Linie für Diabetiker und deren Angehörige geschrieben, denen es zum besseren Verständnis ihrer Krankheit und als Nachschlagewerk für auftauchende Fragen dienen soll. So liest man in der Presseerklärung des Verlages zu diesem Buch:

Die Zahl der an Diabetes erkrankten Menschen nimmt immer mehr zu: Sie hat inzwischen die 4-Millionen-Grenze überschritten. 90 % aller Diabetiker werden dem sogenannten Typ II zugerechnet, der überwiegend auf das Konto einer falschen, mithin zu Übergewicht führenden Ernährung, geht. Damit zählt dieser Diabetes-Typ zu den häufigsten Zivilisationskrankheiten, wenngleich eine gewisse Veranlagung für die Erkrankung mitverantwortlich ist. Daraus wird aber auch ersichtlich, daß eine gute Stoffwechseleinstellung den Schlüssel zu einem möglichst langen und komplikationsarmen Leben mit Diabetes darstellt. Dieses Ziel zu erreichen, dabei hilft der vorliegende Ratgeber aus der Apotheke. Ausführlich und verständlich stellt er alles Wissenswerte über die akuten Gefährdungen und ihre Warnzeichen, die Möglichkeiten der Selbstkontrolle und natürlich die verschiedenen Behandlungsformen bei Diabetes dar. Damit liefert er seinen Lesern ein kompaktes Diabetes-Wissen. Daß der Ratgeber sich auch nicht vor Details scheut, zeigen die Erläuterungen des unterschiedlichen Einsatzes von Kurz- und Langzeitinsulinen ebenso wie das wichtige Kapitel über die Behandlung akuter Stoffwechselentgleisungen.

Schlägt man das Buch auf, findet sich der Leser in den übersichtlich geordneten und mit großen Überschriften versehenen Kapiteln schnell zurecht. In Randbemerkungen werden die wesentlichen Aussagen des Textes noch einmal in Kürze zusammengefaßt. Solange es um Fakten wie die Darstellung der verschiedenen Therapieschemata geht, ist das Buch sachlich, informativ und leicht verständlich.

Nicht zu übersehen ist jedoch auch der Versuch, die Bedeutung der Krankheit Diabetes für das Leben eines Diabetikers und die umfassenden Auswirkungen auf alle Organsysteme herunterzuspielen. Dem Diabetiker wird suggeriert, daß es ausschließlich und in erster Linie an seiner Bereitschaft zur Kooperation läge, welche Lebensqualität er erreichen könne. Gleich auf der erste Seite nach dem Inhaltsverzeichnis im Vorwort von Heinz Jäger, dem Präsidenten des Deutschen Diabetiker-Bundes heißt es:

""Wissen ist Macht" - dieser Ausspruch ist bekannt, aber Informationen und Wissen über Diabetes bedeuten noch mehr. Wird dieses Wissen richtig verstanden und angewandt, ist ein normales Leben für den Diabetiker heute keine Utopie mehr. Wenn es viele gibt, die als insulinspritzende Diabetiker großartige Leistungen vollbracht haben - Oympiasieger, Davis-Cup-Spieler, Landesmeister, Nationalspieler, bekannte Politiker, berühmte Künstler, bewunderte Wissenschaftler und erfolgreiche Wirtschaftsführer -, dann doch nur, weil sie geschulte, informierte und kooperative Diabetiker waren. Nur das unbedingte Wollen mit dem notwendigen Wissen kann zu diesen Erfolgen führen. Da ist ein Diabetiker nicht mehr von einem normalen Menschen zu unterscheiden. Diese Chance hat jeder Diabetiker."

Und etwas später auf Seite 14 wird der Leser belehrt, daß es sich beim Diabetes lediglich um eine Gesundheitsstörung handele und nicht um eine Krankheit; denn jemand, der den richtigen Umgang mit dieser Störung gelernt habe, würde einem Gesunden bezüglich seiner Leistungsfähigkeit in nichts nachstehen. Auch sei die Vorstellung, daß das Leben nach Feststellung der Diagnose Diabetes nur noch Einschränkungen und Verboten unterworfen sei, keineswegs richtig. Es müsse lediglich eine gewisse Regelmäßigkeit, z. B. bei den Mahlzeiten, in das Leben einkehren - aber das würde so manchem Gesunden auch ganz gut tun.

In dieser Weise wird von vornherein die Bedeutung der Krankheit und die massive, weitgehende und umfassende Auswirkung nicht nur auf die Lebensgewohnheiten, sondern auch auf sämtliche Systeme des Körpers heruntergespielt. So wundert es dann auch nicht, daß zwar über die möglichen Folgeschäden informiert wird, aber keinerlei Angaben über die Häufigkeit des Auftretens von Komplikationen oder die Zeiträume, in denen sie sich entwickeln, gemacht werden.

In dem 1993 erschienen Buch "Diabetologische Praxis - Leitfaden für den niedergelassenen Arzt" von K. P. Ratzmann heißt es zu diesem Thema in Kapitel 12:

Die Prognose der Diabetiker hat sich in den vergangenen 20 Jahren verbessert, dennoch liegt die Lebenserwartung unter derjenigen der Normalbevölkerung. Komplikationen in Form von Mikro- und Makroangiopathie sind Ursachen der Exzeßmortalität des Diabetikers. Das Risiko von koronarer Herzkrankheit, apoplektischem Insult und der peripheren arteriellen Verschlußkrankheit ist bei Diabetikern um den Faktor 4 bis 6 erhöht. Diabetiker sind von Amputationen ca. 30mal häufiger als Nicht-Diabetiker betroffen. Jeder zweite im jugendlichen Alter an Diabetes erkrankte Patient stirbt nach ca. 25 Jahren im terminalen Nierenversagen. Jeder vierte Dialysepatient ist ein Diabetiker.

Nach rund 10jähriger Diabetesdauer klagen über 50% aller Diabetespatienten über Nervenveränderungen und bei vielen tritt eine zunehmende Verschlechterung des Sehvermögens bis zur Blindheit auf.

Zu unterstellen, all diese Folgeschäden des Diabetes seien in erster Linie auf eine mangelnde Kooperation des Patienten zurückzuführen, ist nicht nur zynisch, sondern geradezu bösartig. Jeder, der selbst von dieser Krankheit betroffen ist, weiß, daß trotz bester Absichten und Einhaltung aller Regeln immer wieder unvorhergesehene und unvorhersagbare Blutzuckerschwankungen auftreten können.

Angesichts der jahrzehntelangen Erfahrungen mit dieser Krankheit und der Einschränkungen, die jeder Diabetiker am eigenen Leibe erfährt, kann man davon ausgehen, daß sowieso die überwiegende Mehrheit der von Diabetes Betroffenen alles in ihrer Macht stehende tun werden, um eine optimale Einstellung der Blutzuckerwerte zu erreichen. Voraussetzung dafür - und das ist heute noch lange keine Selbstverständlichkeit - ist allerdings, daß alle notwendigen Informationen sowie Hilfsmittel frei zur Verfügung stehen.

Bei dem heutigen Stand des medizinischen Wissens ist die mangelnde Bereitschaft des Diabetikers zur Kooperation als einzige Erklärungsmöglichkeit für das Auftreten der zahlreichen Komplikationen wohl kaum befriedigend zu nennen. Plausibel hingegen wird diese Argumentation, wenn man die Schuldzuweisung an den Patienten als Disziplinierungsmittel zum Zwecke der Kostendämpfung einsetzt.

Die Krankenkassen erkennen heute, daß sie hohe Folgekosten sparen, wenn durch eine gute Stoffwechseleinstellung akute und Spätkomplikationen verhindert werden. Deshalb kann das Testmaterial für die Selbstkontrolle auf Rezept verordnet werden. Zunehmend (insbesondere bei insulinspritzenden Diabetikern) werden auch die Kosten für ein Reflektometer von den Krankenkassen übernommen. (Seite 66)
"Je besser die Diabeteseinstellung, desto geringer das Risiko, da alle Veränderungen von der durchschnittlichen Blutzuckerhöhe über einen längeren Zeitraum abhängig sind." Angesichts der Tatsache, daß diese Erkenntnis schon seit langem bekannt ist, die Kassen aber erst jetzt allmählich Konsequenzen daraus ziehen, ist es nicht schwierig zu erkennen, daß die Prioritäten der Kassen bei den ökonomischen Aspekten des Gesundheitswesens und nicht etwa beim Wohle des Patienten liegen. Erst die Aussicht auf Einsparung hoher Folgekosten bewirkt, was schon lange eine Selbstverständlichkeit bei der Behandlung aller Diabetiker sein sollte: nämlich das kostenfreie Bereitstellen aller Hilfsmittel, die für eine bestmögliche, individuelle Einstellung des Diabetes vonnöten sind.


Dr. med. Bernd Ruhland
Diabetes
Ein umfassender Ratgeber aus der Reihe Gesundheit in Wort & Bild
7. Auflage 1995
Wort & Bild Verlag, Baierbrunn
208 Seiten, 53 Abbildungen, 4 Farbtafeln
Paperback DM 19,80