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REZENSION/035: FIFA - 1000 Jahre Fußball (Bildband) (SB)


1000 Jahre Fußball


FIFA Museum Collection



Fußball heißt nicht nur moderner Massensport, Champions League und hart umkämpfte Fernsehrechte, der wohl beliebteste Ballsport verfügt auch über Tradition und Geschichte. Um dieses historische Vermächtnis zu zelebrieren, hat der internationale Fußballverband, die FIFA, in der edition q jetzt ein Buch mit dem Titel "1000 Jahre Fußball: FIFA Museum Collection" herausgebracht. Im Mittelpunkt des reich illustrierten Bildbandes steht die einzigartige Sammlung eines englischen Fußballfans, die laut Vorwort "das umfassendste Zeugnis der Geschichte unseres Sports darstellt".

Die Geschichte der FIFA Museum Collection begann kurz nach 1950 mit dem Kauf eines Drucks für 5 Shilling; erworben von Mrs. Anne Langdon als Geschenk für ihren Gatten Harry Langdon. Dieser baute in der Folgezeit mit wachsender Begeisterung seine einmalige Sammlung aus: Gemälde und Drucke, Bälle und Fußballschuhe, Spielzeuge und Spiele, Keramik und Skulpturen; allesamt Stücke, die zeigen, wie begeistert die Menschen vom Fußballspiel waren, lange bevor das Medienzeitalter diese Begeisterung vermittelt.

Die Lektüre des Buches verleiht dem Sport eine Dimension, die sich wohltuend von dem rein monetären Imperativ heutiger Vermarktungsstrategien abhebt. In den letzten Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, daß der Fußball fast ausschließlich dem Kommerz dienen soll, sei es als Werbeträger der Konsumgüterindustrie oder als Teil der Produktpalette riesiger Medienkonzerne, deren Wunsch es ist, das Spiel nach ihren Maßgaben zu verunstalten, um die Werbeeinnahmen ins Unermeßliche steigern zu können.

So wirkt sich der Konkurrenzkampf der Fernsehanstalten, wie man am Beispiel der deutschen Privatsender SAT 1 und RTL erkennen konnte, die sich in der Folge eines ruinösen Pokers um die Übertragungsrechte mit der Forderung an die FIFA wandten, jetzt doch bitte das Spiel in drei oder vier Blöcke zu zerstückeln, da sie sich mit der Kalkulation ihrer Werbeeinnahmen verschätzt hätten, ausschließlich zu Ungunsten des Fußballs und seiner Fangemeinde aus. Gibt man derartigen Forderungen nicht statt, muß der gemeine Fußballfan noch tiefer in die Tasche greifen, um die Fortune seines Klubs, vielleicht sogar der Nationalelf, verfolgen zu können. Im anderen Fall drohen Praktiken, wie sie vom American Football bekannt sind, wo dem Schiedsrichter die Gestaltung des Spielverlaufs auf dem Feld per Funk von den Fernsehanstalten diktiert wird.

Angesichts dessen war es eine angenehme Überraschung festzustellen, daß die FIFA es Harry Langdon selbst überlassen hat, den Begleittext zu verfassen. Hier hat ein richtiger Fan, stellvertretend für die Millionen Väter und Söhne, die dieses Spiel nicht nur zum Massensport, sondern Zuschauersport Nummer Eins gemacht haben, seinen verdienten Platz in der ersten Reihe erhalten. Obwohl das Buch vor allem vom optischen Eindruck der unterschiedlichsten Artefakte lebt, die liebevoll und mit Sorgfalt präsentiert werden, bietet der Text auch einiges an Kuriositäten an.

Mit der durchgehend viersprachigen Aufbereitung der Einleitungen zu den jeweiligen Kapiteln und der Bildunterschriften in Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch belegt der Weltverband seinen internationalen Anspruch, wenn die Qualität der Übersetzungen auch einiges zu wünschen übrig läßt. Der völkerverbindende Globalismus spiegelt sich jedoch nur bedingt in den vorgestellten Exponate, die zum allergrößten Teil aus England beziehungsweise Großbritannien stammen. Hier feierte der moderne Fußball seine Geburtsstunde mit der Gründung der heute noch bestehenden englischen Football Association am 26. Oktober 1863 in einem Londoner Gasthaus.

Bis dahin spielten die verschiedene englische Eliteschulen ihre jeweils eigene Version des Ballspiels. So verlieh die renommierte Lehranstalt der Ortschaft Rugby denjenigen Versionen des Fußballs ihren Namen, die heute als Rugby Union und Rugby League bekannt sind. Bis Ende des 19. Jahrhunderts stand die Spielweise der Football Association im Schatten des Rugby, das als Massensport verbreiteter war als der eher als Spiel der Gentlemen geltende Fußball, dessen Klubs häufig aus Eliteschulen hervorgingen. Die Blütezeit dieser kleinen, aber feinen Amateurvereine dauerte bis zur Jahrhundertwende an, als die in der gleichen Liga spielenden Profimannschaften immer mehr die Oberhand gewannen.

Nach dem ersten Weltkrieg hatten andere Länder auf dem Gebiet des Fußballs gleichgezogen. Damals bewunderte die ganze Welt die Ballkünste der Italiener, Tschechoslowaken und Österreicher. Die Engländer hingegen waren von ihrer Vorstellung des Fairplays dermaßen überzeugt, daß die britischen Mannschaften alle Fußball- Weltmeisterschaften bis zum Jahre 1950 boykottierten, weil Uruguay nicht nur 1924 und 1928 die olympischen Goldmedaillen im Fußball mit Mannschaften gewonnen hatte, deren Amateurstatus von den Engländern bezweifelt wurde, sondern der gerade gegründete Weltverband "Federation Internationale de Football Association" FIFA ausgerechnet dieses südamerikanische Land 1930 mit der Austragung der ersten Fußball-Weltmeisterschaft beauftragte. Vielleicht waren die Gentlemen auch nur verstimmt, weil der Name des Weltverbandes französisch und nicht englisch war.

Zu dem bunten Sammelsurium, das sich über die großzügig editierten Seiten des Werks ergießt, gehören auch Ausstellungstücke, die nicht aus den Gebieten des alten Empires stammen. Eine Batik aus Uganda, ein aus Stoff gefertigtes Bild eines Fußballstadions aus Peru, daß an einen naiven Wandteppich erinnert, und sogar, wie könnte es anders sein, ein deutscher Bierseidel mit der frommen Inschrift "Oh wunderbares Fußballspiel - du schönstes Spiel der Jugend" zeigen, daß das runde Leder überall auf der Welt zuhause ist. Ein besonders erfrischender Vers ziert die Aquarell-Zeichnung des Künstlers Donald McGill, die in einer Serie humoristischer Postkarten des frühen 20. Jahrhunderts abgebildet ist:

"I once used to think it might injure your brain, when I looked at you heading the ball. But now I'm perfectly sure you have none at all, of course I don't worry at all."
Einst glaubte ich es könnte deinem Verstand schaden, wenn ich dir beim Kopfball zusah. Aber jetzt, da ich sicher bin, daß du keinen hast, bin ich natürlich nicht mehr besorgt.

Das ganze Buch strahlt diese Art Heiterkeit und Unbekümmertheit aus. Allerlei Nippes wie eine "Senkel-Schnürhilfe aus Messing mit dekorativer Gravierung" oder eine "Streichholzschachtelhülle in Form des Beins einer Fußballspielerin" verführt zum unwillkürlichen Schmunzeln, während ein über alle Maßen empörter Zeitungsbericht über das erste Frauen-Länderspiel zwischen Schottland und England im Jahre 1881 eine Haltung dokumentiert, die auch heute noch bei vielen männlichen Fußballfans vorherrscht. Der beleidigte Sportjournalist zieht am Ende seines Artikels folgendes Resümee:

"...no football club with any regard for its good name would encourage such a humiliating spectacle made of the winter pastime."
...kein Fußballverein, der etwas auf seinen Namen hält, würde aus diesem winterlichen Zeitvertreib ein solch entwürdigendes Spektakel machen.

Eine Frage drängt sich angesichts des Buchtitels allerdings auf: Wie kommt die FIFA auf "1000 Jahre Fußball"? So wird zwar erwähnt, daß die Chinesen schon vor 3000 Jahren dem Ballspiel frönten, und auch Kelten und Wikinger, um nur einige Beispiele zu nennen, zu ihrer Zeit so manchem annähernd runden Gegenstand nachrannten. Das sind sattsam bekannte Beispiele ohne jede spezifische Aussagekraft für eine der modernen Ballsportarten, doch auch bei einem vor allem der Unterhaltung dienenden Werk darf man einen wissenschaftlichen Beleg oder zumindest einen Hinweis zur Relevanz der behaupteten tausendjährigen Geschichte des Fußballs erwarten. Es ist nicht einzusehen, daß der Fußballsport als einer unter vielen Ballspielen ein Vermächtnis aus grauer Vorzeit, von dem man wenig mehr weiß, als das Menschen und Bälle im Spiel waren, ganz allein für sich in Anspruch nimmt. Sogar das Titelbild auf dem Einband des Werks, eine Farblithographie aus dem Jahre 1881, zeigt Fußball- und Rugbyspieler in einträchtiger Gemeinschaft, obwohl das Buch unter den groben Lettern der Fußball-Weltorganisation FIFA firmiert. Man kann sich vorstellen, daß Vertreter des heute im Schatten des Fußballspiels stehenden Rugby-Sports wenig begeistert sind von einer solchen Vereinnahmung.

Für den Kaufinteressenten bleibt nur zu sagen, daß dieses Buch das Klinsmann- oder Sammer-Trikot unter dem Weihnachtbaum kaum ersetzen können wird, dafür jedoch genau das Richtige für erwachsene Fußballfans ist, die sich an den Zeugnissen der Fußballbegeisterung ihrer Väter und Großväter erfreuen wollen.


1000 Jahre Fußball
FIFA Museum Collection
Federation Internationale de Football Association