Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/020: Thürmer, Götting - Henry Maske · Gentlemanboxer (SB)


Mary Thürmer und Markus Götting


Henry Maske - der Gentlemanboxer



Ein prominenter Sportstar

Henry Maske hat sich weit über den Kreis des Boxsports hinaus einen Namen als eine anerkannte Persönlichkeit der deutschen Öffentlichkeit gemacht. Sollte dies noch eines Nachweises bedürfen, so kann man auf eine Fülle von Indikatoren zurückgreifen, die gemeinhin als Gradmesser von Bekanntheit und Popularität gelten. Ob bei der Wahl zum Sportler des Jahres 1993 oder jüngst als Spitzenreiter der ostdeutschen Beliebtheitsskala, ob als Ehrenbürger von Frankfurt/Oder oder Gast des Bundeskanzlers, ob als Quotenkönig bei RTL oder Thema zahlreicher Artikel vom Boulevardblatt bis hin zu den vornehmsten Gazetten - man findet Henry Maske immer wieder auf den vorderen Rängen. Umfragen zufolge kennen weit über 80 Prozent der Bundesbürger den prominentesten deutschen Boxer, eine Quote, von der selbst so manches Kabinettsmitglied nur träumen kann.

Henry Maske war längst kraft des Ritterschlags der Medien zum Superstar geadelt worden, und doch verband man mit seinem Namen die immer gleiche Frage nach den Gründen dieses Phänomens. Wer auf sich hielt, trug dazu bei, das Dunkel zu erhellen, das die Karriere dieses Mannes zu umgeben schien. Das westdeutsche Profiboxen lag in seinen letzten Zügen, und vielfach wurden Stimmen laut, die sein Verbot forderten. Mit der politischen Wende brach das hochentwickelte System der ostdeutschen Sportförderung zusammen und zerstreute die Überbleibsel einer der weltweit führenden Sportnationen in alle Winde. Aus den Trümmern des Ostens kam ein Athlet in den Westen, um in den Ruinen eines totgesagten Metiers zum Sporthelden aufzusteigen. Wie war das möglich bei diesem Mann, dem alles Showtalent fremd zu sein schien, bei dessen Siegen die Zuschauer krampfhaft das Gähnen unterdrückten, der nicht einmal durch kleinste Eskapaden wenigstens Stoff für die Klatschspalten lieferte?


Der wundersame Aufstieg

Diese Frage beschäftigte schon die ersten Chronisten des wundersamen Aufstiegs, doch schienen die gefundenen Antworten nie so ganz zufriedenzustellen, denn stets aufs Neue erging sich die Kommentatorenfeder in eleganten Wendungen zum Thema, ohne je den erhofften Schlußstrich unter dieses mysteriöse Kapitel ziehen zu können. Und wer versuchte sich nicht alles an der Aufklärung dieses Rätsels! Selbst Literaten und Kulturkolumnisten äußerten sich zu dieser Lichtgestalt des Boxsports, und bei allem Bemühen um vornehme Distanz gerieten die Abrisse doch in aller Regel zu Lobeshymnen, die nur einen kleinen Schönheitsfehler hatten: Der Aufstieg Henry Maskes blieb ein Phänomen und somit geheimnisumwittert.

Daran wäre eigentlich auch nichts auszusetzen, denn warum den Reiz des Rätselhaften zerstören, wozu die endgültige Antwort suchen, als sei damit das letzte Wort gesprochen? Wenn man es recht bedachte, blieb doch das Unzugängliche zweifellos der unterhaltsame Teil, während mit jeder neuerlichen Aufzählung des Geläufigen das Unbehagen wuchs. Allzu deckungsgleich gerieten die Abhandlungen, als hätten die Autoren lediglich auf den Fundus ihrer Vorgänger zurückgegriffen.


Eine Biographie des Weltmeisters

Da nun die Biographie "Henry Maske - der Gentlemanboxer" von Mary Thürmer und Markus Götting erschienen ist, treibt das erwähnte Unbehagen zu der Neugier, ob die Autoren wohl Aufklärendes recherchiert und die eine oder andere bemerkenswerte These entwickelt haben. Bislang schien es ja so, als entzöge sich Henry Maske, ohne je ein Geheimnis aus seiner Person zu machen, am Ende doch dem allzu hartnäckigen journalistischen Drängen.

Die vorliegende Biographie, das sei vorweg gesagt, ist nicht ein Produkt aus Henry Maskes eigener Werkstatt, sondern vielmehr eine kleine Abhandlung über den Weltmeister und seinen Weg an die Spitze. Dadurch ist manche kritische Bemerkung enthalten, die andernfalls wohl geglättet worden wäre. So werden wenig schmeichelhafte Zitate aus den Anfangstagen des Aufstiegs ebensowenig ausgespart wie Karrierebrüche und Charaktereigenschaften von Trainer Wolke, die der Boxer und sein Ziehvater sicher nicht allzu gerne schwarz auf weiß sehen. Andererseits ist alles das bereits seit längerem bekannt, wenn es auch von einer breiteren Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden sein dürfte. Wer die Enthüllung sucht und Sensationelles zu erfahren hofft, wird in diesem Buch nicht fündig werden.

Wie nicht anders zu erwarten, mangelt es der Außenbetrachtung naturgemäß an Insiderinformationen, die über das hinausgehen, was man den Medien bereits entnehmen konnte. Es macht ja oftmals den besonderen Reiz von Biographien aus, daß ausgesprochene Kenner der Materie und Personen aus dem engeren Umfeld mit ihrem Wissen zu Wort kommen. Auf diese Weise gewinnt das Bild der dargestellten Person an Facettenreichtum, vielleicht sogar an Widersprüchlichkeit, und gelegentlich wird ein Klischee gesprengt, wodurch man diesen Menschen plötzlich in einem andern Licht sieht. Um diese Art der Recherche handelt es sich bei der vorliegenden Biographie nicht - dies sei gesagt, um unangemessenen Erwartungen die Spitze zu nehmen.

Experten auf dem Gebiet des Profiboxens sind die Autoren augenscheinlich nicht, noch kommen solche durchgängig zu Worte. Das allerdings ist insofern bedauerlich, als eine Reihe interessanter Themen bestenfalls gestreift, doch nicht weiterentwickelt wird. Dabei liefert Henry Maske geradezu Munition für kritische Fragen, wird doch sein Boxstil ebenso kontrovers aufgenommen wie die Auswahl seiner Gegner, seine Auffassung des Boxsports und sein Einfluß auf das Metier insgesamt. Allgemein gilt die Phase seines Aufstiegs im Profilager als die umstrittene Wegstrecke, während der spätere Erfolg gern als Widerlegung aller Skeptiker ins Feld geführt wird. Vielleicht sollte man dennoch etwas kräftiger nachfassen, um sich nicht vom Augenschein des Triumphs blenden zu lassen.

Jedem Biographen stellt sich die Frage nach seinem Verhältnis zu der von ihm charakterisierten Persönlichkeit. Mag die Antwort auch durchwachsen oder mit dem Fortgang des Unterfangens einem Wandel unterworfen sein, so wird der Autor sich an irgendeiner Stelle dem schlichten Für und Wider stellen müssen, das später als Gesamteindruck im Werk anklingt. Was nun die Biographie Henry Maskes betrifft, so wird bei allem Bemühen um eine gewisse intellektuelle Distanz doch die Sympathie für diesen Boxer und Erfolgsmenschen deutlich. So lobenswert die Stellungnahme an sich sein mag, leidet in diesem Falle doch die Debatte unter der allzu pauschalen Charakterisierung des Sumpfes, aus dem der Champion sich und den Boxsport angeblich gezogen hat. Das entspricht durchaus dem Trend der gängigen Kommentare zum Thema, entbehrt jedoch der Würze differenziert vorgetragener Positionen.


Zusammenschau für eine breite Leserschaft

Als eine Zusammenschau könnte man diese Biographie bezeichnen, gedacht für ein breiteres Publikum, das den einen oder andern Kampf des Weltmeisters verfolgt oder gelegentlich Kommentare zum Thema studiert hat. Wer einmal im Überblick nachlesen möchte, was sich rund um den Aufstieg eines sechsjährigen Jungen, der sein erstes Boxtraining absolviert, zum späteren Profiweltmeister und Prominenten zugetragen hat, dem sei dieses Buch empfohlen. Es wendet sich nicht so sehr an den Fachmann, der hier eine Sammlung bereits publizierter Fakten und Statements wiedererkennen wird, sondern an den Durchschnittsleser, der aus irgendeinem Grund Interesse an Henry Maske gefunden hat. In der Mehrzahl stammt ja sein Publikum nicht aus den Kreisen des Boxsports und dessen traditionellen Anhängern, sondern wurde erst durch die neue Erfolgsmischung gewonnen.

Auch wer die jüngere Geschichte der Karriere Henry Maskes verfolgt hat, wird sicher gerne erfahren, wie es dazu gekommen ist. Wer außer Boxexperten erinnert sich an alle Profikämpfe bis zum Gewinn der Weltmeisterschaft, und noch weniger weiß man wohl über die Amateurlaufbahn, zumal in einem System der intensiven Sportförderung, wie es zumindest westdeutschen Lesern kaum bekannt sein dürfte.

Fast vergessen sind heute die Anfeindungen, denen sich Henry Maske und sein Trainer Manfred Wolke im Osten ausgesetzt sahen, wo die ehemaligen Helden des Sports plötzlich zu Deserteuren abgestempelt wurden, als sie den Wechsel ins Profilager publik machten. Aber auch der Westen empfing sie keineswegs mit offenen Armen, wurden sie ob ihrer Pläne doch mit Spott und Hohn überhäuft, denn kaum jemand konnte sich vorstellen, daß diese Amateure auch nur die Spur einer Chance im harten Profigeschäft haben würden.

Wie es dann weiterging, wer half und wer hinderte, wie bescheiden die ersten Erfolge angesichts heute erreichter Dimensionen an Zuschauern und Börsen anmuten - das und vieles mehr läßt sich in der vorliegenden Biographie nachlesen. Bis hin zum vorläufig letzten Kampf, dem ersten innerdeutschen Megaduell gegen Graciano Rocchigiani, kann man die Entwicklung verfolgen und bekommt zudem so manches aus dem engeren und weiteren Umfeld als angenehme Beilage geboten. Boxen hat sich längst über den Sport hinaus zu einem gesellschaftlichen Ereignis gewandelt und dabei neue Interessenten gewonnen, und diesem Trend entspricht die nicht zu knappe Beimengung literarischer Ergüsse zum Thema Boxen. Ein Boxfan im klassischen Sinn mag sich dabei recht unbehaglich fühlen, doch die Mehrzahl möglicher Interessenten wird diesen breiten Zugang wohl als ganz selbstverständlich hinnehmen.


Schlaglichter für den streifenden Leser

Nicht nur das Boxpublikum hat sich von einer kleinen aber treuen Schar eingefleischter Enthusiasten hin zu einem Massenpublikum beiläufig interessierter Konsumenten gewandelt, auch Leserschaft und Lesegewohnheiten sind längst nicht mehr die alten. Wer mit Büchern großgeworden ist, wird sich wohl nie mit einem schlaglichtartigen Aneinanderreihen von Statements und Episoden anfreunden können, wie es dem modernen Druckerzeugnis wesentlich ist. So dürfte die Maske- Biographie durchaus den aktuellen Geschmack treffen und den leichten Lesegenuß befriedigen, setzt sie sich doch aus kurzen Abschnitten zusammen, die jeweils mit deutlich hervorgehobenen Schlagworten überschrieben sind. Nicht unbedingt ein Buch zum Blättern, doch mangels verbundener Handlung oder weitreichender Ausführungen auch kein Werk, das man unbedingt chronologisch lesen oder intensiv studieren müßte.

Es erhebt ja nicht den Anspruch einer Recherche im klassischen Sinn, die mit wissenschaftlicher Akribie und selbstverständlichem Wissensdrang aus dem so zu Tage Geförderten nur den Drang nach intensiverem Forschen abzuleiten vermag, und im angefertigten Produkt leider viel zu wenig aus dem Schatz der Fäden und Verstrickungen dargeboten sieht. Für einen streifenden Leser indessen bieten die 223 Seiten inklusive des enthaltenen Fotomaterials sicherlich Stoff genug, sich eine Weile damit zu vergnügen und bei späterer Gelegenheit das eine oder andere informative Detail nachzuschlagen.


Des Rätsels Lösung?

Hat uns die Biographie geholfen, den Schleier des Geheimnisses zu lüften, der den wundersamen Aufstieg Henry Maskes zu umgeben scheint? Hören wir den Meister selbst: "Meine Siege beginnen im Kopf" - diese Aussage wird immer wieder gern zitiert und ziert nicht zufällig das Cover des Buches, dicht neben dem markanten Konterfei des Weltmeisters. Vielleicht macht ein solches Lebensmotto die Attraktivität der Botschaft aus, die der Aufstieg eines Boxers aus dem banalen Sportgeschehen in den Rang eines gesellschaftlichen Erfolgsphänomens symbolisiert.

Wird man nach Lesen dieses Buches wissen, was Henry Maske damit meint? Erhält man Aufschluß, was er seiner Fangemeinde bedeutet? Findet sich am Ende doch des Rätsels Lösung? Ein schlechter Rezensent, der dies vorab verraten würde!


Mary Thürmer und Markus Götting
Henry Maske - der Gentlemanboxer
Heyne Verlag, 1995