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REZENSION/003: Kirti Peter Michel - Der Schweifende Blick (Esoterik) (SB)


Kirti Peter Michel


Der Schweifende Blick

Die unfehlbare Weise, die Magie des Gewöhnlichen zu erkennen



Wenn der Inhalt eines Buches ganz und gar seinem Einband entspräche, so würde man das Paperback, das im Gewande einer neuen Edition des MA-Verlags erscheint, unbesehen mit nach Hause nehmen. Das auf weißem Grund wiedergegebene und durch einen roten Längsbalken mit dem Verlagslogo kontrastierte Hochgebirgspanorama lädt tatsächlich zu einem Schweifen des Blicks ein und läßt intuitiv erahnen, was sich hinter diesem mysteriösen Titel verbirgt. Die im Untertitel angekündigte "unfehlbare Weise, die Magie des Gewöhnlichen zu erkennen", und das Ganze in einer mit "Abenteuer und Gedankenspiele" überschriebenen Reihe, macht neugierig darauf, um welche Spielart magischen Wirkens es sich wohl handeln mag.

Schon die ersten Zeilen des Vorworts von Prof. Dr. Bernd Fittkau schließen auf jeden Fall aus, daß es sich hier etwa um einen Ratgeber im Stile von "Ohne Brille bis ins hohe Alter" oder ähnlichem handelt. Statt dessen stößt man auf die Ankündigung einer validen Bewußtseinstechnik zur Befreiung des Sehens von den Zwängen biologisch und sozial determinierter Einschränkungen und Reaktionsverhältnisse, die auf der erkenntnistheoretischen Linie des radikalen Konstruktivismus liegen soll, will sagen, ich baue mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Ohne diesen modischen Terminus, der im Zuge einer Annäherung von Psychologie, Philosophie und Neurowissenschaften eine plötzliche Verbreitung erfahren hat, zu sehr ins Lächerliche ziehen zu wollen, muß man sich jedoch manchmal gegen die Praxis einer Begriffsprägung zur Wehr setzen, bei der nach dem Motto "Alter Wein in neuen Schläuchen" eine mindestens seit den Urzeiten griechischer Philosophie bekannte erkenntnistheoretische Sackgasse zur hochmodernen Einsicht in die Natur menschlicher Unzulänglichkeit umgemünzt wird. Es versteht sich gewissermaßen von selbst - um im Bilde konstruktivistischer Evidenz zu bleiben -, daß kein Beweis für oder gegen die Vision geführt werden kann, daß die gesamte Existenz möglicherweise ein monströser Traum welcher Wesenheit auch immer sei. Die daraus gezogene Schlußfolgerung einer selbstkonstruierten Welt mit immanentem Bestätigungsmodus hilft allerdings auch keinem weiter, der zum Beispiel Schmerzen erleidet oder Hunger hat. Wem über die unausweichliche Tatsache einer von Widrigkeiten und Problemen erfüllten Körperlichkeit hinaus noch der Sinn nach Spekulationen über Sein und Nichtsein, über subjektive Anschauung und objektive Wirklichkeit und über die Gültigkeit von Erkenntniskriterien, also kurzum die in immer neuer Verkleidung daherkommende Frage nach der Letztbegründung steht, der mag sich auf der spekulativen Spielwiese der tausendfältigen Theorien und Konzepte ergehen, die schon von altersher das Brot der Philosophen und Weisen gebildet haben.


Und damit sind wir auch schon mitten im Text des Kirti Peter Michel, der gleichermaßen Gefahr läuft, bei der philosophisch- spirituellen Grundlegung der Magie des Gewöhnlichen den Faden der klassischen Systeme, die dabei Pate gestanden haben, in begrifflichen Widersprüchen und allein vom sozialen Konsens getragener Übereinkünfte zu verwirren. Man muß ihm jedoch zugute halten, daß er dies lediglich im Kontext einer körperlich überprüfbaren Methode tut und es dabei versteht, einen festen Platz im Reigen einander kontrastierender philosophischer Positionen zu vermeiden. Der Autor redet eher einer Art erleuchteter Ignoranz das Wort, bei der deutliche Spuren des bei der Aufzählung seiner diversen spirituellen Lehrer an erster Stelle stehenden Osho zu bemerken sind. Dessen häufig widersprüchliche Aussagen zu allen Belangen menschlicher Existenz wurden ja gerne mit dem Verweis auf die rational dekonditionierende Wirkung beim orientierungssuchenden Schüler zur Methode erhoben.

Doch weit entfernt davon, sich diese Position anzumaßen, bemüht sich Kirti Peter Michel um eine stringente und im Rahmen der Übung des Schweifenden Blicks widerspruchsfreie Darlegung der zentralen Erkenntnisachsen. Die Fragen, die sich dem unvoreingenommenen und mit der spirituellen Terminologie nicht so vertrauten Leser auftun mögen, sind so grundsätzlicher Art, daß sie über das Buch hinausgehend den begrifflichen Bestand der esoterischen Literatur überhaupt in Frage stellen. So ist viel vom "beobachtenden Bewußtsein" die Rede, welches über die Frage "Wer ist das, der all dies wahrnimmt?" zur Stabilisierung der psychischen Verfassung bei außergewöhnlichen Wahrnehmungen beitragen soll. Naheliegenderweise kann man auf die Verkürzung dieser Frage "Wer bin ich?", die Ramana Maharshi häufig als Kernfrage seiner Lehre gestellt haben soll, nur mit der Gegenfrage antworten: "Wer fragt?"

Es ist ein typisches Kennzeichen der spirituellen Philosophie Kirti Peter Michels, und wie gesagt, er befindet sich damit in bester Gesellschaft, die Vorgaben menschlicher Verkennung als naturgegebene Größen aufzugreifen und die Einsicht in ihren illusionären Charakter als Befreiung zu feiern, als ob damit alle Probleme des Menschen bewältigt wären. Am Beispiel des mit hoher Evidenz ausgestatteten Wirklichkeitsbegriffs, der auch im Schweifenden Blick als diejenige Instanz, der man sich anzugleichen versucht, eine zentrale Stellung einnimmt, kann man den Verlauf eines letztlich endlosen Ausweichens in immer neue begriffliche Befestigungsversuche vor dem Hintergrund völliger Haltlosigkeit studieren. Als die Gültigkeit der sinnlichen Wahrnehmung durch neurologische Erkenntnisse über die Subjektvität kognitiver Prozesse immer mehr in Frage gestellt wurde, verfiel man auf die besagte Theorie des Konstruktivismus, deren komplexe theoretische Ausgestaltung nichts weiter als das Problem verbirgt, eine Illusion überhaupt als solche erkennen zu können, denn hat man sie durchschaut, ist es keine Illusion mehr.

So bietet sich praktischerweise an, diese Begrifflichkeiten einmal abschließend zu behandeln und dann zu den konkreten Problemen überzugehen, die damit erst beginnen. Und das muß im Sinne des im Buch verwendeten buddhistischen Ausschlußverfahrens keine schlechte Botschaft sein, da es eben nicht um die Diskussion von Wahrheiten im Stile von "Es gibt ..."- oder "Es gibt nicht ..."-Behauptungen geht, deren Funktion lediglich darin bestehen kann, einem andern gegenüber Recht zu behalten, sondern es ist die Inangriffnahme der unmittelbaren Probleme gemeint, die dann wiederum einfachster Natur sind wie zum Beispiel die Praxis, mit dem Blick und so auch mit dem Körper im wörtlichsten Sinne auf Gegenstände und Dinge zu stoßen und letztlich an diesen zu zerbrechen.

Das Problem der nicht abschließend geklärten Begrifflichkeiten und die indifferente Verwendung des Wirklichkeitsbegriffs resultiert bei Kirti Peter Michel in unnötigen Wiederholungen und überdehnten Ausführungen. Eine umfassendere Darstellung der persönlichen Erfahrungen bei den in der Kurzbiografie angegebenen Meistern und Schulen wäre da sehr viel interessanter gewesen. Wenn man jedoch den allgemeinen Standard der esoterischen Literatur hinsichtlich der Analyse unserer Erkenntnisvoraussetzungen zugrunde legt, dann gehört der im zweiten Teil vom Autor vorgenommene Ausschluß aller trennenden und teilenden Aspekte von Zeit und Raum, von Selbst und Welt im Lichte der buddhistischen und taoistischen Lehre auch bei immanenter Widersprüchlichkeit zu den bemühteren Versuchen dieser Art.

Auf der Linie der angeführten Traditionen und durch persönliche Erfahrung kommt er zu dem Schluß, daß all diese Größen nicht existieren. Und während man die Verwendung der berühmten Formel vom Hier und Jetzt im ersten Teil des Buches bei der Erläuterung der Technik noch als didaktisches Mittel verstehen kann, die Nutzlosigkeit des ewigen Versuchs zu illustrieren, über das unmittelbar Erreichbare hinauszugreifen und damit lediglich der Vergeblichkeit Tribut zu zollen, bricht das Postulat von der "grenzenlosen Zeit" und dem "grenzenlosen Raum" oder die Aufforderung, "einmal am Tage ganz bei sich zu sein", mit der beanspruchten Negation dieser Größen. Wie kann Zeit als ausschließlich auf Teilen und Zählen beruhende Vergleichsform des Vorher und Nachher ohne Grenzen sein, bilden diese doch den Kern ihrer Funktionalität? Wie kann Raum grenzenlos sein, definiert er sich doch erst durch seine Umfassung? Und wer ist bei wem, wenn nicht das Ich beim Selbst und wer sich noch bei welcher Spiegelung von wem auch immer befindet, um diese Ausgeburten reflektiver Distanzierungsversuche einmal zu überspitzen?

Hier zeigt sich ein Grundproblem der Übermittlung spiritueller Inhalte, die ja nicht als bloße Wahrheiten ins Feld ziehen, um andere Wahrheiten auszustechen, sondern in der Regel den Anspruch verfolgen, dem Leser einen Anhaltspunkt zur Nutzung im Sinne persönlicher Veränderung zu geben. Sie fallen allzu leicht einer zählenden und vergleichenden, in Ja/Nein- und Falsch/Richtig- Verhältnissen operierenden Sprache zum Opfer, was nur in einem Zirkelschluß resultieren kann, bei dem man sich an bereits bestehenden Aussagen orientiert und diese lediglich kontrastiert. Wie am Beispiel der Vorgaben menschlichen Bewertungs- und Urteilsstrebens geschildert, an denen sich die ganze Architektur der Weltbilder und Kosmologien empor rankt, kehrt man zu den eigenen Grundlagen zurück und kann demzufolge immer nur das erkennen, was man bereits kennt. Die Katze jagt den eigenen Schwanz, und dabei ist es völlig gleichgültig, daß sie sich auf einer nie endenden Spur befindet, solange nur der Reiz erhalten bleibt.

So wird auch dem Leser des Schweifenden Blicks eine Abfolge zugespitzter Vergleichsoperationen vorexerziert, die sich bloß durch einen definitiven Ausschluß aller positiven Unterstellungen beenden ließe. Dabei geht Kirti Peter Michel durchaus einen Schritt des Weges in diese Richtung, indem er die buddhistische Praxis des "Nicht das eine, nicht das andere, und auch nicht das eine oder das andere" anwendet, diese jedoch nicht konsequent zu Ende bringt. Unter den vielen klassischen Lehrbeispielen, die seine Ausführungen begleiten, hat er eines an den Anfang gestellt, das dieses Problem kommentiert:

Buddha und seine Mönche - so wird berichtet - versammelten sich am Geierberg, um eine Lehrrede des 'Erwachten' zu hören. Buddha jedoch sagte kein Wort und betrachtete still eine Lotosblüte, die er in der Hand hielt und wendete. Mahakashyapa - einer von vielen Schülern - lächelte verstehend. Manche Legende berichtet sogar, daß er in diesem Moment lauthals gelacht haben soll, verblüfft über die leuchtende Klarheit von Buddhas stillem Vortrag.

Ob der Buddha nun die Lotosblüte betrachtet oder etwas ganz anderes mit seinen Augen gemacht hat, im Sinne des Schweifenden Blicks hat er es jedenfalls unverhaftet und zeitlos getan, in sich ruhend und ohne den Drang, von einem optischen Reiz zum nächsten zu springen. Denn soviel sei zur ausführlich eingeleiteten Übung des Schweifenden Blicks gesagt, sie beansprucht, durch das nie anhaftende und verweilende Sehen bei extrem langsamer Bewegung des Kopfes das eingeschränkte Fixieren des Blicks aufzulösen und bei einer Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit zu einer ungebrocheneren Aufmerksamkeit und einer kontinuierlicheren Bewegung zu gelangen. Das soll nicht nur in einer deutlichen Entlastung vom Streß des der Geschwindigkeit der Ereignisse ansonsten nie genügenden Sehens resultieren, es soll auch einen Freiraum zur Gestaltung der eigenen Sicht der Welt schaffen.

Dazu führt der Autor im Stil einer beschaulichen Betrachtung viele Beispiele aus dem alltäglichen Leben an, in denen gerade das Beiläufige und ansonsten Unbemerkte in den Mittelpunkt der immer weniger unterscheidenden und somit kontinuierlicheren Aufmerksamkeit rückt. Währenddessen lädt er dazu ein, die leicht nachzuvollziehende Übung zur Überprüfung der Methode und zur Einstimmung in den Text sofort zu praktizieren. Es fällt nicht schwer, den Ausführungen des Autors zu folgen und sich dabei an Erlebnisse zu erinnern, bei denen sich die Ästhetik vermeintlich zufälliger Arrangements und unbedeutender Formen erschließt. Unterstützend für diese ganz auf das Sehen und die Bewegung des Kopfes abgestellte Methode wirken die Fotografien und Grafiken, teils vom Autor selber, teils von anderen Künstlern geschaffen, die die Empfindsamkeit impressionistischer Malerei mit den ungewöhnlichen Perspektiven einer auf das Unspektakuläre gerichteten und dadurch eine Intensität eigener Art verströmenden Fotokunst kombinieren.

Eventuelle Fragen nach der Alltagstauglichkeit der eine völlig neuartige und unvertraute Sicht provozierenden Übung kann der Autor nach einem Rat zum vorsichtigen Beginn an diejenigen, die psychisch nicht genügend gefestigt Gefahr laufen, vorübergehende Verwirrungszustände zu erleben, positiv beantworten. Er schließt das Buch auch ausdrücklich mit dem Kapitel "Die Übung im Alltag", in der er gerade die profane Seite des Lebens als besonders geeignetes Gebiet bezeichnet, die transformative Kraft der Übung des Schweifenden Blicks zur Anwendung zu bringen.

Bei seiner Beschreibung der Vergeblichkeit des Versuches, mit den Augen alle interessanten Dinge einzufangen und bloß nichts zu versäumen, der zur Folge hat, daß man hektisch von einem Reiz zum nächsten springt und dabei immer weniger wahrnimmt, zeigt Kirti Peter Michel einen wichtigen Aspekt der Reizbindung und der entsprechenden Reaktionsmuster auf. Im Prinzip kann es keine Gegenwart geben, weil sie im Moment der Wahrnehmung immer schon vorbei ist, also besteht das Gesehene genaugenommen aus Vergangenem. Damit nähert er sich dem Grundproblem aller Erkenntnis an, dem er mit der Übung des Schweifenden Blicks zu Leibe rücken will. Die Kette dieser Reizbindung, die den Menschen zumindest in buddhistischer Sicht bis in die letzte Faser bedingt, nimmt der Autor an der Schnittstelle der heutzutage dominierenden lichtgebundenen Sinnlichkeit auf und versucht sie an eben dieser Stelle zu unterbrechen.

Nun mag es nicht jedermanns Sache sein, diese Betonung visueller Reizverarbeitung durch eine Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeit noch zu verstärken, wenn dies auch im Sinne der Selbsterkenntnis und Bewußtseinserweiterung - diese Vokabel aus dem Repertoire psychedelischer Gründerjahre scheint hier tatsächlich angebracht - geschieht. Doch man sollte bei der Wirkung der Übung auch die motorische Komponente nicht unterschätzen, die durch das langsame und immer weniger wahrnehmbare Gleiten des Kopfes stimuliert wird. Denn natürlich kann der Kopf sich nicht unabhängig vom Rest des Körpers, insbesondere in der geforderten Langsamkeit, bewegen. Wenn dies auch nicht speziell beabsichtigt wurde, so muß die extreme Verlangsamung einer Einzelbewegung in einer umfassenderen Beteiligung des Gesamtkörpers resultieren, da sich der auf bestimmte Muskelgruppen beschränkte Tonus im Sinne zunehmender Verkrampfung ansonsten in sprunghafteren und gebrocheneren Bewegungen äußern würde. Das Nicht-Verhaftet-Sein in spezifische Reaktionsverhältnisse und die stetige langsame Bewegung des Schweifenden Blicks könnte so auch zu einer ungebrocheneren Bewegung des Gesamtkörpers führen.

Auf jeden Fall leistet Kirti Peter Michel mit seinem Werk Pionierarbeit, denn bisher hat sich noch kein Autor in dieser Ausschließlichkeit an das Thema der visuellen Wahrnehmung im Zusammenhang mit einer Bewußtseinstechnik herangewagt, die zudem nicht nur interpretiert wird, sondern ein Ergebnis eigenen Forschens und Bemühens darstellt. Das Buch kann auch denjenigen weiterhelfen, die sich in ihrer Arbeit auf bildgebende Medien stützen und einen Zugang zu einer kurzfristig erreichbaren Entspannung der Augen suchen. Vor allem jedoch ist es allen Berufsgruppen zu empfehlen, die mit optischen Medien aller Art gestalterisch tätig sind, da sich aus einer durch die Übung veränderten und gesteigerten Wahrnehmungsfähigkeit interessante neue Perspektiven ergeben mögen.

Was die Verfügbarkeit der Übung in jeder denkbaren Situation betrifft, so läßt sich "Der Schweifende Blick" durchaus mit "Die Fünf Tibeter" vergleichen, deren Erfolg das Bedürfnis nach überschaubarer und unmittelbar wirksamer Körpertechnologie verdeutlicht. Gefragt sind Methoden, die den instrumentellen und institutionellen Aufwand moderner Übungsformen und Therapien zugunsten eines unmittelbaren Zugriffs in beinahe jeder Situation unnötig machen. Allerdings geht Kirti Peter Michel in seinem Anspruch an die Weiterentwicklung des menschlichen Potentials über die bloße Inanspruchnahme einer Instant-Technologie hinaus. Man merkt ihm an, daß er, wie in den biographischen Anmerkungen ausgewiesen, die Geschichte der spirituellen Bewegung von Anfang der siebziger Jahre an bis heute mitvollzogen hat und dem bloßen Ausverkauf der darin vertretenen Ideale nicht den Zuschlag geben möchte.

Schließlich sei angemerkt, daß sich der Autor mit dem Schweifenden Blick bei dem offensichtlich populären Trend nach Art einer neuen Sinnlichkeit durchaus auf der Höhe der Zeit befindet. Man denke nur an den vielbeachteten Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit" von Sten Nadolny, in der die Langsamkeit der Hauptperson als ein die Wahrnehmung der Welt veränderndes Kriterium zelebriert wird, oder die momentan überaus erfolgreiche Welle der das Sehen auf ziemlich krasse Weise fordernden 3-D-Publikationen. Hier bricht sich augenscheinlich das Bedürfnis nach einer konstruierten Wirklichkeit mit Macht Bahn - und hier läßt sich der Begriff auf sehr zutreffende Weise verwenden, wenn man bedenkt, daß dabei lediglich die Reaktionsträgheit des Auges und das interpretative Moment einer perspektivisch orientierten Sichtweise durch computergenerierte Raster ausgebeutet wird. Im Sinne der beschriebenen Reizbindung könnte man auch sagen, daß es Zeit für eine Dosissteigerung ist, da die herkömmlichen Lichtreize offensichtlich nicht mehr genügend anschlagen.

Es ist also einiges im Umbruch in der Welt des Sehens, und in diesem Szenario immer schnellerer Bildfolgen und immer synthethischerer Produktionsweisen beschreitet Kirti Peter Michel mit dem Schweifenden Blick eher den Weg zurück zu einer an die Klarheit japanischer Tuschzeichnungen gemahnenden visuellen Natürlichkeit - bei aller Widersprüchlichkeit in der philosophischen Grundlegung eine Methode, die ihren festen Platz im Arsenal moderner Bewußtseinstechnologie finden wird.


Kirti Peter Michel
Der Schweifende Blick
Die unfehlbare Weise, die Magie des Gewöhnlichen zu erkennen